VwGO § 162 Abs. 2; VV Vorbem. 3 Abs. 4

Leitsatz

1.  Der Senat geht im Anschluss an die mittlerweile gefestigte Rspr. des BGH davon aus, dass Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV so zu verstehen ist, dass eine vorprozessual entstandene Geschäftsgebühr teilweise auf spätere wegen desselben Gegenstands entstandene gerichtliche Verfahrensgebühr anzurechnen ist.

2.  Die Anrechnungsbestimmung betrifft auch das für eine etwaige Kostenerstattung maßgebliche Außenverhältnis zwischen dem Mandanten und seinem Prozessgegner.

3.  Für die Anrechnung ist ohne Bedeutung, ob die vorprozessuale Geschäftsgebühr im Verwaltungsprozess gem. § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO erstattungsfähig ist.

4.  Eine Entstehung von Gebühren wegen desselben Gegenstands setzt voraus, dass der Streitgegenstand des vorprozessualen Verfahrens mit dem Streitgegenstand des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens identisch ist.

VGH Kassel, Beschl. v. 28.1.2009–6 E 2458/08

1 Sachverhalt

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des VG, mit dem ihre Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des VG zurückgewiesen worden ist.

Grundlage der Kostenfestsetzung war ein Beschluss des Senats, mit dem die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des VG abgeändert und die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin teilweise angeordnet und teilweise wiederhergestellt worden war.

Der Bevollmächtigte der Antragstellerin legte seinem Festsetzungsantrag u.a. eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV zugrunde. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass ein vorangegangenes Verwaltungsverfahren gem. § 80 Abs. 4 VwGO nicht stattgefunden habe.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte antragsgemäß fest. Die dagegen eingelegte Erinnerung der Antragsgegnerin – mit dem Ziel, eine teilweise Anrechnung der im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren entstandenen Geschäftsgebühr auf die im gerichtlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr zu erreichen – wies das VG zurück. Dagegen richtet sich die Beschwerde, die keinen Erfolg hatte.

2 Aus den Gründen

Das VG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass eine Anrechnung der vorprozessual entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV auf die im gerichtlichen Eilverfahren entstandenen Verfahrensgebühren nach Nr. 3100 VV nicht in Betracht kommt.

Der Senat geht zwar im Anschluss an die mittlerweile gefestigte Rspr. des BGH (zuletzt im Beschl. v. 25.9.2008 – IX ZR 133/07, NJW 2008, 3641) davon aus, dass Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV aufgrund des eindeutigen Wortlauts so zu verstehen ist, dass eine vorprozessual entstandene Geschäftsgebühr – unter der Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt – teilweise auf die spätere gerichtliche Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Dadurch verringert sich die erst später angefallene gerichtliche Verfahrensgebühr, während die vorprozessual bereits entstandene Geschäftsgebühr unangetastet bleibt.

Die Anrechnungsbestimmung in Vorbem. 3 Abs. 4 VV betrifft nicht nur das Rechtsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant, sondern auch das für eine etwaige Kostenerstattung maßgebliche Außenverhältnis zwischen dem Mandanten und seinem Prozessgegner. Entsteht die Verfahrensgebühr wegen der in Vorbem. 3 Abs. 4 VV vorgesehenen Anrechnung eines Teils der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr von vornherein nur in gekürzter Höhe, so kann im Rahmen der Kostenfestsetzung auch keine darüber hinausgehende Erstattung in Betracht kommen. Für die Anrechnung nach dieser Vorschrift ist einzig und allein entscheidend, ob und in welcher Höhe eine Geschäftsgebühr – bei vorausgesetzter Identität des Streitgegenstandes – entstanden ist, der Rechtsanwalt zum Zeitpunkt des Entstehens der Verfahrensgebühr also schon einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr aus seinem vorprozessualen Tätigwerden erlangt hatte (so ausdrücklich: BGH, Beschl. v. 22.1.2008 – VIII ZB 57107, NJW 2008, 1323 mit Hinweisen auf die kontrovers diskutierten Fragen in Rspr. und Lit.; Hess. VGH, Beschl. v. 8.6.2007–3 TJ 966/07, NJW 2008, 678; Streppel, Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr, MDR 2007, 929 ff.).

Aus dieser Argumentation folgt zwangsläufig, dass es nicht von Bedeutung ist, ob die vom Prozessgegner auf materiell-rechtlicher Grundlage zu erstattende Geschäftsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist (BGH, a.a.O.), und auch nicht darauf ankommt, ob die vorprozessuale Geschäftsgebühr im Verwaltungsprozess gem. § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO erstattungsfähig ist (Ostermeier, Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren, in: JurBüro 2008, 6 ff. [8 f.]).

Gleichwohl hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.8.2008 eine teilweise Anrechnung der vorprozessualen Geschäftsgebühr auf die gerichtliche Verfahrensgebühr zu Recht nicht vorgenommen, denn die Gebühren sind nicht wegen desselben Gegenstands entstanden.

Eine Entstehung von Gebühren "wegen desselben Gegenstands" im Sinne von Vorbem. 3 Abs. 4...

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