I. Fragen

1. Fall 1

Der durch seinen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger hat ein der Klage auf Kosten des Beklagten ergangenes Urteil erstritten. Sein Rechtsanwalt beantragt die Festsetzung der von dem Kläger gezahlten gerichtlichen Verfahrensgebühr und der Anwaltskosten. Die Festsetzung der Umsatzsteuer hat der Klägervertreter aufgrund der Mitteilung seines Mandanten, er sei vorsteuerabzugsberechtigt, nicht beantragt. Der Rechtspfleger erlässt den Kostenfestsetzungsbeschluss antragsgemäß ohne Umsatzsteuer. Zwei Monate später informiert der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten, er könne die Umsatzsteuer auf die Anwaltskosten doch nicht zum Vorsteuerabzug verwenden.

Was hat der Klägervertreter hieraufhin zu veranlassen?

2. Fall 2

Im Fall 1 ist der durch Klageschrift vom 1.7.2020 eingeleitete Rechtsstreit durch das nach mündlicher Verhandlung vom 21.12.2020 am 4.1.2021 verkündete Urteil beendet worden. Aufgrund der ihm günstigen Kostenentscheidung hat der Klägervertreter die Festsetzung der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten unter Berücksichtigung eines Umsatzsteuersatzes von 16 % beantragt. Der Rechtspfleger hat den Kostenfestsetzungsbeschluss am 26.3.2021 antragsgemäß erlassen. Aufgrund eines neuen Eingangs in der Handakte bemerkt der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Jahre 2023, dass er seine Gebühren und Auslagen mit 19 % Umsatzsteuer zu versteuern hatte.

Kann der Kläger mit Erfolg die Nachfestsetzung der Differenz beantragen?

II. Lösungen

1. Lösung zu Fall 1

I. Grundsätze der Nachfestsetzung

Da dem ersten Kostenfestsetzungsantrag des Klägers in vollem Umfang stattgegeben wurde und der daraufhin ergangene Kostenfestsetzungsbeschluss rechtskräftig geworden ist, kann ein weiterer Erstattungsanspruch nur im Wege der Nachfestsetzung tituliert werden. Der zunächst ergangene Kostenfestsetzungsbeschluss ist sowohl formell als auch materiell in Rechtskraft erwachsen.[1] Deshalb steht die materielle Rechtskraft der früheren Entscheidung über den Kostenfestsetzungsantrag einer erneuten Kostenfestsetzung entgegen, soweit derselbe Streitgegenstand betroffen ist. Bei teilbaren Ansprüchen beschränkt sich die Rechtskraft des – ersten – Kostenfestsetzungsbeschlusses regelmäßig nur auf den geltend gemachten Betrag. Dies gilt auch dann, wenn der Erstattungsberechtigte nicht erkennbar gemacht hat, dass er nur einen Teilbetrag seines gesamten Anspruchs verlangt und sich eine Nachforderung nicht vorbehalten hat. Gibt jedoch der Erstattungsberechtigte zu erkennen, dass er seinen ganzen Anspruch und nicht nur einen Teil davon festgesetzt haben will, soll kein Rest zurückgestellt werden, der einer Nachforderung zugänglich wäre. In einem solchen Fall hat der Rechtspfleger dann über den gesamten geltend gemachten Erstattungsanspruch entschieden, was die Nachfestsetzung ausschließt.[2]

[1] S. BGH AGS 2003, 176 = BRAGOreport 2003, 57 [Hansens].
[2] S. OLG Karlsruhe AGS 2024, 42 [Hansens], in diesem Heft; OLG Düsseldorf AGS 2006, 201; AGS 2011, 566 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2011, 309 [Hansens].

II. Nachfestsetzungsantrag

In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend der Nachfestsetzungsantrag des Klägers zulässig. In seinem ersten, rechtskräftig beschiedenen Kostenfestsetzungsantrag hat der Kläger in der irrtümlichen Annahme, er könne die Umsatzsteuer zum Vorsteuerabzug verwenden, die auf die Gebühren und Auslagen seines Prozessbevollmächtigten zu berechnende Umsatzsteuer gar nicht zur Festsetzung angemeldet. Folglich kann die Rechtskraft des daraufhin antragsgemäß ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlusses die Position "Umsatzsteuer" gar nicht erfasst haben.

1. Bezifferter Antrag

Der Klägervertreter wird deshalb einen bezifferten Antrag (s. § 308 Abs. 1 ZPO) auf Festsetzung der bisher noch nicht geltend gemachten Umsatzsteuer stellen.

2. Erklärung nach § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO

Diesem Antrag ist die Erklärung des Klägers beizufügen, er könne die Umsatzsteuer nicht zum Vorsteuerabzug verwenden.

2. Lösung zu Fall 2

I. Höhe der Umsatzsteuer

Nach Nr. 7008 VV ist die Umsatzsteuer auf die Anwaltsvergütung in voller Höhe zu erheben. Gem. § 19 Abs. 1 UStG beträgt der Umsatzsteuersatz auf die Anwaltsvergütung seit dem 1.1.2007 grds. 19 %. Allerdings ist aus Anlass der Corona-Pandemie der Umsatzsteuersatz im Zeitraum vom 1.7. bis zum 31.12.2020 durch das 2. Corona-Steuerhilfegesetz vom 29.6.2020[3] von 19 % auf 16 % ermäßigt worden.[4]

[3] BGBl I, 1512.
[4] S. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 26. Aufl., 2023, Nr. 7008 VV Rn 34a.

II. Änderung des Umsatzsteuersatzes

Innerhalb derselben gebührenrechtlichen Angelegenheit ist die Höhe des Umsatzsteuersatzes einheitlich anzusetzen.[5] Es stellt sich hier die Frage, ob für die Vergütung des Prozessbevollmächtigten des Klägers der auf 16 % ermäßigte Umsatzsteuersatz gilt oder der mit Wirkung vom 1.1.2021 wieder maßgebliche Umsatzsteuersatz von 19 %. Gem. § 27 UStG gilt der geänderte Umsatzsteuersatz für alle Umsätze, die nach Inkrafttreten der Änderungsvorschrift ausgeführt worden sind. Dies könnte dafür sprechen, dass die Vergütung des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit 16 % zu versteuern ist, weil er seine Tätigkeiten innerhalb des Zeitraums vom 1.7.2020 (Klageschrift) bis zum 31.12.2020 (mündliche Verhandlung) erbracht hat. Jedoch ist die an...

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