Wieder einmal steht das RVG auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand vor dem BVerfG. Diesmal geht es um die Frage der Anrechnung der Beratungshilfe-Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV bzw. um die ermäßigte Verfahrensgebühr der Nr. 3103 VV. Hierzu sind zwei Verfahren vor dem BVerfG anhängig (1 BvR 2473/10 und 1 BvR 2474/10).

Worum geht es?

Ist ein Anwalt im Widerspruchsverfahren im Rahmen der Beratungshilfe tätig, so erhält er nach Nr. 2503 VV bei einem Auftraggeber eine Gebühr von 70,00 EUR.

Wird er anschließend im Verfahren vor dem Sozialgericht tätig, erhält er eine Gebühr nach Nr. 3102 VV, wegen der Vorbefassung allerdings nach Nr. 3103 VV reduziert auf einen Gebührenrahmen von 20,00 bis 320,00 EUR, Mittelgebühr 170,00 EUR.

Nicht genug damit, dass der Anwalt die Ermäßigung nach Nr. 3103 VV hinnehmen muss, ist nach dem Wortlaut jetzt auch noch die vorangegangene Geschäftsgebühr der Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV hälftig anzurechnen, also mit 35,00 EUR.

Das Gesamtaufkommen an Geschäfts- und Verfahrensgebühr beläuft sich somit auf (70,00 + 170,00 EUR - 35,00 EUR =) 205,00 EUR.

Vergleicht man die Situation mit der eines Wahlanwalts, ergibt sich die erste Ungleichbehandlung. Der Wahlanwalt erhält nämlich Geschäfts- und Verfahrensgebühr anrechnungsfrei. Da bei der Verfahrensgebühr im Rahmen der Nr. 3103 VV bereits die Vorbefassung Gebühren mindernd berücksichtigt wird, ist hier – im Gegensatz zu dem Wertgebühren (Vorbem. 3 Abs. 4 VV) – eine Gebührenanrechnung nicht vorgesehen.

Es fragt sich daher mit Fug und Recht, weshalb ein Beratungshilfe-Anwalt sich die Geschäftsgebühr hälftig anrechnen lassen muss, während dies beim Wahlanwalt nicht der Fall ist.

Dieser Ungerechtigkeit sind einige Gerichte damit begegnet, dass sie in verfassungskonformer Auslegung die Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV dahingehend anwenden, dass eine Anrechnung in sozialrechtlichen Angelegenheiten nicht in Betracht komme (LSG Nordrhein-Westfalen AGS 2008, 348 m. Anm. N. Schneider = NJW-Spezial 2008, 507 = RVGreport 2008, 389; SG Dresden AGS 2009, 229 = RVGreport 2009, 146 = NJW-Spezial 2009, 285; SG Augsburg AGS 2009, 396; SG Aachen, Beschl. v. 27.2.2009 - S 9 AS 42/08; SG Detmold AnwBl 2009, 312). Andere Gerichte lehnen dagegen eine verfassungskonforme Auslegung ab (LSG Nordrhein-Westfalen AGS 2008, 347; SG Lüneburg AGS 2009, 231). Das AG Fulda (Beschl. v. 3. 1. 2011 - S 3 SF 43/10 E) ist sogar der Auffassung, dass "die für diese Fälle vorzunehmende Reduzierung des Anwendungsbereichs der Verfahrensgebühr aus Nr. 3103 VV im Wege der teleologischen Reduktion … den Rahmen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung" überschreite. Daher ist nunmehr das BVerfG mit dieser Frage befasst.

In diesem Zusammenhang hat sich dann aber auch gleich eine weitere Ungleichbehandlung offenbart.

Ein Anwalt, der weder im Widerspruchs- noch im Verwaltungsverfahren tätig war, erhält eine Gebühr aus dem Rahmen der Nr. 3102 VV (40,00 EUR bis 460,00 EUR). Dies ergibt eine Mittelgebühr von 250,00 EUR.

Der Beratungshilfeanwalt kommt jedoch nur auf 205,00 EUR und, selbst wenn man die Anrechnung unberücksichtigt lässt, nur auf 240,00 EUR, also immer noch auf einen geringeren Betrag als der nicht vorbefasste Wahlanwalt.

Ob dies noch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, dürfte zweifelhaft sein. Wolf (JurBüro 2011, 16) meint, dies müsse "so hingenommen werden". M.E. dürfte auch dies gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Wieso soll ein Anwalt für eine Mehrarbeit 10,00 EUR Gebühren verlieren? Es kann doch nicht sein, dass ein Anwalt, der zusätzliche Tätigkeiten übernimmt, dafür bestraft wird und eine geringere Vergütung erhält.

Dass das BVerfG die jetzige Regelung für verfassungswidrig erklären wird, dürfte wohl außer Zweifel stehen. Der Gesetzgeber ist daher auch bereits aktiv und plant eine neue Regelung.

In den derzeit laufenden Abrechnungsverfahren sollte daher, wenn das Gericht anrechnen will, Erinnerung eingelegt und gleichzeitig beantragt werden, das Verfahren bis zur Entscheidung des BVerfG auszusetzen.

Die Erinnerung kann aber auch noch später eingelegt werden – auch noch in Altfällen, da die Erinnerung in Festsetzungsverfahren der Beratungshilfe unbefristet ist (OLG Frankfurt/M. RVGreport 2007, 100).

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