Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Die Akten sind dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.

 

Tatbestand

A.

I. Das erkennende Gericht hat in einem von der Schuldnerin selbst beantragten Insolvenzverfahren über die Ankündigung der Restschuldbefreiung (nachfolgend RSB) gemäß § 291 Abs. 1 InsO Abs. 1 InsO zu befinden.

Da Versagungsgründe von Gläubigern nicht geltend gemacht wurden, wäre die RSB anzukündigen; ein Ermessen besteht nicht.

Die Ankündigung würde auf Seiten aller Insolvenzgläubiger, selbst übersehener oder bewußt weggelassener, dazu führen, daß sämtliche – auch rechtskräftig titulierte – Forderungen ihre Durchsetzbarkeit verlieren und zwar im Regelfall ohne jede Gegenleistung.

Dieser Rechtsverlust ist mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 I GG und – wie an späterer Stelle noch näher darzulegen sein wird – mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 I GG nicht vereinbar.

Jede Schuldbefreiung muß eine durch sozialstaatliche Überlegungen gerechtfertigte Ausnahmeregelung sein, weil Schuldner grundsätzlich für die vom Gläubiger erbrachte Vorleistung einzustehen haben (Kübler-Prütting, Kommentar zur Insolvenzordnung, Rdn. 34 aE zu § 286 m.w.N.) und zwar mit ihrem gesamten pfändbaren Vermögen bis zum Eintritt der Verjährung.

Eine Regelung, die eine solche Beschränkung des begünstigten Personenkreises sicherstellt, fehlt, eine Prüfung der besonderen sozialen Schutzwürdigkeit des Schuldners ist im Verfahren nicht vorgesehen.

Schuldbefreiung erlangen können vielmehr sämtliche zahlungsunfähigen Personen, also auch jene, die durch unseriöses und riskantes Finanzgebahren ihre Situation selbst herbeigeführt haben. Ebenso solche, die wegen Vermögens-, Aussage- oder anderer Delikte rechtskräftig verurteilt wurden und damit zwar in der gesamten übrigen Rechtsordnung, nicht aber in der Insolvenzordnung als unredlich eingestuft werden.

Das Eigentum von Gläubigern wird zudem dadurch unangemessen einschränkt, daß bereits während der auf 6 Jahre verkürzten Verfahrensdauer Teile des pfändbaren Vermögens dem Schuldner belassen werden.

Die bei der anstehenden Entscheidung anzuwendenden Normen sind jedenfalls in der seit seit 1.12.2001 geltenden Fassung der Insolvenzordnung nach Überzeugung des erkennenden Gerichts verfassungswidrig.

Das Verfahren war daher gemäß Art. 100 I GG und § 80 BVerfGG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht im Wege der konkreten Normenkontrolle zur Entscheidung vorzulegen.

II. Bei der Inhaltsbestimmung des Eigentums im Sinne des Art. 14 I GG hat der Gesetzgeber einen relativ weiten Ermessensspielraum. Er ist aber verpflichtet, die Rechte und Pflichten von Gläubigern und Schuldnern in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen (BVerfG E 37, 340).

Die Eigentumsgarantie des Art. 14 I GG umfaßt nicht nur materielle Vermögensrechte, sondern verlangt auch eine entsprechende Ausgestaltung des dazugehörigen Verfahrens zur Gewährung eines wirksamen Rechtsschutzes (BVerfG ZIP 1993, 686). Aus Gläubigersicht besteht sowohl ein grundrechtlich geschützter Anspruch auf den Schutz von Forderungsrechten, als auch auf Gewährung wirksamer Einzel- und Gesamtvollstreckung.

Wie dieser verfassungsrechtlich gebotene Schutz in Gesetzen des einfachen Rechts gewährleistet werden kann, zeigen die Regelungen im formellen und materiellen Zivilrecht. Die dort vorgenommene Abwägung zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen zeigt, wie der Schutz von Forderungen bei gleichzeitiger Meidung existenzbedrohender Eingriffe zulasten des Schuldners in Normen des einfachen Rechts umgesetzt werden kann.

Jede Änderung dieses sorgfältig durchdachten und in sich stimmigen Systems bedarf sorgfältiger Abwägung und Prüfung, ob sie erforderlich, angemessen und verhältnismäßig ist und sich in ihrer Gesamtwirkung innerhalb des Spielraums hält, den der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Eigentums hat.

So wurde etwa bei der Neuregelung des Verjährungsrechts im Rahmen der Schuldrechtsreform oder bei der Anhebung der Pfändungsfreigrenzen im Gesetzgebungsverfahren eingehend auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geprüft, ob die gebotene Ausgewogenheit noch gewahrt ist.

III. Der Schutz von Forderungen und der Anspruch auf effektive Zwangsvollstreckung ist im Bereich des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der Zivilprozeßordnung unter anderem dadurch gewährleistet, daß bei Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des Schuldners die Möglichkeit zu gerichtlicher Titulierung besteht.

Diese unterbricht eine laufende Verjährung und setzt die 30-jährige Verjährungsfrist in Gang. Gläubiger können mit dem Titel über Jahrzehnte hinweg auch gegen den Willen des Schuldners dessen Vermögensverhältnisse nachhaltig überprüfen und auf jedes pfandfreie Vermögen und jeglichen Vermögenserwerb durch erhöhte Einkünfte, Erbschaft, Schenkung und dgl. zwangsweise Zugriff zu nehmen.

All dies dient dem Schutz der Vertragstreuen Partei und damit zugleich eines Rechtssatzes, der jedem gerechten und geordneten Leistungsaustausch zugrundeliegt, nämlich dem, daß V...

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