Leitsatz

Eine bloße Zahlungsstockung ist anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend. Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. Bei einer größeren Liquiditätslücke ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Unterdeckung demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.

 

Sachverhalt

Der Beklagte ist GmbH-Geschäftsführer. Er wird von der Klägerin nach § 64 Abs. 2 GmbHG auf Schadensersatz in Anspruch genommen, weil er bei Abschluss eines letztlich gescheiterten Vergleichs bereits von der Insolvenzreife der Gesellschaft gewusst habe. Der BGH bestätigte die verurteilende Entscheidung und macht grundlegende Ausführungen zur Abgrenzung von Zahlungsunfähigkeit und -stockung.

 

Entscheidung

Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit in § 64 GmbHG ist gleichbedeutend mit dem in § 17 InsO. Nach §17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Auf die früher noch zu prüfenden Merkmale "Dauer" und "Wesentlichkeit"[1] hat der Gesetzgeber bei der Umschreibung der Zahlungsunfähigkeit verzichtet, um diesen Insolvenzantragsgrund leichter handhabbar zu machen[2]. Eine vorübergehende Zahlungsstockung begründet keine Zahlungsunfähigkeit.

Die Literatur geht daher davon aus, dass ein Schuldner zahlungsunfähig ist, wenn ihm die Erfüllung der fälligen Zahlungspflichten wegen eines objektiven, kurzfristig nicht zu behebenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht möglich ist. Um dies festzustellen, werden die aktuell verfügbaren und kurzfristig verfügbar werdenden Mittel im Rahmen einer Liquiditätsbilanz zu den an demselben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten in Beziehung gesetzt[3]. Ob hierbei bestimmte Unterdeckungsquoten außer acht bleiben, war bislang heftig umstritten[4]. Höchstrichterliche Entscheidungen sind zu dieser Frage noch nicht ergangen.

Der BGH geht nun davon aus, dass die Liquiditätsentwicklung über einen Zeitraum von drei Wochen zu analysieren ist. Dies entspricht der Insolvenzantragsfrist des § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG[5]. Die Frage, ob noch von einer vorübergehenden Zahlungsstockung oder schon von einer endgültigen Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist, muss in diesem Zusammenhang allein aufgrund der objektiven Umstände beantwortet werden. Für diese Prognose sind die konkreten Gegebenheiten beim Schuldner, insbesondere dessen Außenstände, die Bonität der Drittschuldner, die eigene Kreditwürdigkeit, die Branche und die Art der fälligen Schulden zu berücksichtigen[6].

Der Senat lehnt die Auffassung, ein Schuldner sei schon zahlungsunfähig, wenn er geringe Forderungen nicht mehr ausgleichen könne, ausdrücklich ab. Zwar wird angenommen, aus einem solchen Zahlungsverhalten ergebe sich gerade das Unvermögen, größere Beträge zu zahlen[7]. Diese Schlussfolgerung verbietet sich nach Auffassung des BGH aber bereits im Interesse des Schuldners. Sofern seine Auftragslage gut ist und künftig mit Zahlungseingängen gerechnet werden kann, wäre es unangemessen, wenn er wegen einer vorübergehenden Unterdeckung von wenigen Prozent, die nicht binnen drei Wochen beseitigt werden kann, Insolvenz anmelden müsste. In bestimmten Branchen sind regelmäßig saisonale Flauten zu überbrücken, die teilweise auch mehrere Monate dauern. Wer sich auf einem derartigen Wirtschaftssektor als Anbieter betätigt, muss immer wieder mit Liquiditätsengpässen rechnen. Er darf jedoch normalerweise mit einer wirtschaftlichen Erholung und damit mit der Überwindung der Krise rechnen, sobald die Saison wieder angelaufen ist.

 

Praxishinweis

Den zur Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit relevanten Schwellenwert setzt der Senat bei 10 % der Gesamtverbindlichkeiten an. Ein höherer Wert ließe sich mit der Absicht des Gesetzgebers, die Anforderungen an die Annahme der Zahlungsunfähigkeit zu senken, kaum vereinbaren. Andererseits wäre ein niedrigerer Schwellenwert dem rigorosen "Null-Toleranz-Prinzip" zu sehr angenähert, um noch praktische Wirkungen entfalten zu können.

Eine Unterdeckung von weniger als 10 % genügt allein nicht zum Beleg der Zahlungsunfähigkeit, es sei denn, es liegen besondere erschwerende Umstände vor. Hier führt das Gericht ausdrücklich eine abzusehende schlechte Geschäftsentwicklung an. Beträgt die Unterdeckung 10 % oder mehr, muss der Geschäftsführer entsprechende Indizien für die vorhandene Zahlungsfähigkeit vortragen und beweisen. Dazu ist in der Regel die Benennung konkreter Um...

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