Leitsatz

  1. Abberufung des Verwalters aus wichtigem Grund (Verletzung der alljährlichen Einberufungspflicht einer EV)
  2. Beschlussfeststellungsverfahren als Gestaltungsklage und gerichtliche Ersetzung einer unterlassenen Beschlussverkündung
  3. Keine Prüfung aller denkbaren Anfechtungsgründe eines erstmals gerichtlich bestätigten Beschlusses
 

Normenkette

§§ 23, 43, 46 WEG

 

Kommentar

  1. Die Verletzung der alljährlichen Einberufungspflichten des WEG-Verwalters zu ordentlichen Jahresversammlungen hat erheblich größeres Gewicht als etwa eine unsorgfältige Führung der Beschluss-Sammlung, die ihrerseits einen gesetzlichen Regeltatbestand für einen wichtigen Grund zur Verwalterabberufung darstellt.
  2. Ein "gerichtliches Beschlussfeststellungsverfahren" im Anschluss an ein lediglich durch den Versammlungsleiter rechnerisch festgestelltes Abstimmungsergebnis (ohne Beschlussverkündung mit behaupteter "Unzweckmäßigkeit, da ohnedies mit einer Beschlussanfechtung zu rechnen sei"), soll primär Untätigkeiten bzw. Fehler eines Versammlungsleiters korrigieren. Es soll aber nicht"vormundschaftsähnlich" gleich alle denkbaren oder geltend gemachten Anfechtungsgründe mitprüfen. Auch wenn hier der Antrag auf eine Beschlussfeststellung zielte, handelt es sich um eine Gestaltungs- und keine Feststellungsklage. Spätestens mit Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung wird die vom Versammlungsleiter unterlassene Verkündung gerichtlich ersetzt. Ein Gericht hat ebenso wie es ein Versammlungsleiter hätte tun sollen, bei bloß ordnungswidrigen Beschlüssen festzustellen, dass mit entsprechender Mehrheit ein Beschluss (hier: die Abberufung des Verwalters) zustande gekommen ist. Eine (formelle und materielle) Prüfung des Beschlusses scheidet in einem solchen Verfahren nach weit verbreiteter Auffassung durch das Wohnungseigentumsgericht zunächst aus (vgl. Riecke/v. Rechenberg, MDR 2002, 310; Deckert, ZMR 2003, 157; Müller, NZM 2003, 224). Ein Versammlungsleiter besitzt auch kein Recht "zum Offenlassen eines Beschlussergebnisses" (vgl. jüngst Deckert, ZMR 2008, 585 sowie J.H. Schmidt, DWE 2005, 9; a.A. AG Hamburg-Barmbeck v. 8.3.2004, DWE 2005, 5).
  3. Der beantragten gerichtlichen Entscheidung kommt ebenso wie der Bekanntgabe des Beschlussergebnisses durch einen Versammlungsleiter konstitutive Bedeutung zu. Auch ordnungswidrige Beschlüsse können – mangels Anfechtung – in Bestandskraft erwachsen. Ein Gericht muss sich nach rechtskräftig festgestelltem Beschluss im Zuge einer nachfolgenden Anfechtung ggf. nochmals mit der Materie befassen. Prozessökonomische Gründe nach etwaiger Gegenansicht sprechen nicht für ein anderes Ergebnis (vgl. auch Müller in FS Deckert, S. 264/265). Wenn ein Beschluss erst mit Rechtskraft einer beantragten Entscheidung durch das Gericht entsteht, kann auch dann erst eine Beschlussanfechtungsfrist beginnen. Im Beschlussfeststellungsverfahren kann also nicht zusätzlich dessen Rechtmäßigkeitsüberprüfung stattfinden (ebenso Drasdo, Die Eigentümerversammlung nach WEG, 3. Aufl., Rn. 616). Verfahrensgegenstand in einem solchen Verfahren ist nur die Feststellung des Beschlussergebnisses, nicht aber der Beschluss selbst (ebenso Riecke, WE 2004, 39; a.A. Bärmann/Pick/Merle, § 23 Rn. 43).
  4. Wohnungseigentümer hätten auch im vorliegenden Fall nach Meinung des Gerichts diverse Möglichkeiten von "Vermeidungsstrategien" bereits in der Versammlung gehabt, die sie jedoch ungenutzt ließen. Da die Möglichkeit konkludenter Ergebnisfeststellung hier bei der bewusst gewollten Nichtfeststellung ausscheidet, hätte zumindest durch Spontanbeschluss ein neuer Versammlungsleiter gewählt werden können, der die notwendige Verkündung hätte vornehmen müssen.
Anmerkung

Die ausführlich begründete Entscheidung überzeugt aus meiner Sicht. Ein Versammlungsleiter darf die Feststellung von Abstimmungsergebnissen und deren Ergebniswertung nicht unterlassen (offenlassen). Andernfalls verhindert er das Entstehen von positiven oder negativen Beschlüssen, die erst mit seiner verkündeten Entscheidung als wohnungseigentumsrechtliche Beschlüsse entstehen und komplettiert werden, und zwar unabhängig davon, ob seine Wertungsentscheidung richtig oder falsch ist. Fehlerhafte Verkündungen können – müssen jedoch nicht – gerichtlich angegriffen werden. Erkennbar nichtige Beschlüsse sollte ein erfahrener Versammlungsleiter demgegenüber erst gar nicht zur Abstimmung gelangen lassen.

Betrifft der zivilprozessuale Streitgegenstand einer Klage nach klägerischer Disposition und Antragstellung – wie hier – allein die notwendige Komplettierung eines Beschlusses durch gerichtliche Verkündungs-"Ersetzung", ist auch erstmalig mit Rechtskraft einer solchen Entscheidung formell von einem zustande gekommenen Eigentümerbeschluss auszugehen, der auch erst dann (nach konstitutiver Entstehung) mit weiteren Argumenten (formal- oder inhaltsrechtlich) ggf. neuerlich angegriffen werden kann (jedoch nicht muss).

 

Link zur Entscheidung

AG Hamburg-Blankenese, Teilurteil v. 17.9.2008, 539 C 27/08, noch nicht rechtskräftig...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge