Rz. 195

Diesem Punkt ist besondere Bedeutung beizumessen, auch, weil sich Bezüge zu anderen familienrechtlichen Ansprüchen ergeben können, was manchmal nicht beachtet wird.

 

Rz. 196

Bestimmte Schuldverhältnisse werden, wenn sie nicht zwischen beliebigen Dritten, sondern zwischen Ehegatten bestehen, von der ehelichen Lebensgemeinschaft überlagert.

a) Die Überlagerung eines Schuldverhältnisses durch ein anderes im Allgemeinen

 

Rz. 197

Falls von zwei (oder mehr) tatbestandlich erfüllten Anspruchsgrundlagen nur eine in Betracht kommt, weil sich beide in ihren Rechtsfolgen widersprechen oder sich zwar nicht widersprechen, aber eine der beiden Lösungen sachnäher ist, muss die Rechtsordnung Mechanismen bereit stellen, welche sicher stellen, dass bzw. welche Rechtsfolgen zur Anwendung gelangen. Dies ist eine Frage der Anspruchskonkurrenz. Soweit die Nichtanwendung des einen Rechtssatzes darauf beruht, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des anderen, spezielleren Rechtssatzes vorübergehender (temporärer) Natur sind, mit deren Beendigung also das Wiederaufleben des einen Rechtssatzes einher ginge, kann man davon sprechen, dass der eine Rechtssatz vom anderen nicht vernichtet, sondern nur überlagert (suspendiert) wird. Es handelt sich daher um die temporäre Koexistenz von Anspruchsgrundlagen, von denen lediglich eine ihre Rechtsfolgen entfalten soll.

b) Die familienrechtliche Überlagerung bei Ehegatten im Besonderen

 

Rz. 198

Bei der familienrechtlichen Überlagerung besteht die Besonderheit darin, dass sich im Rechtsverkehr nicht zwei beliebige, sondern zwei miteinander familiär verbundene (hier: verheiratete) Personen gegenüber stehen.

 

Rz. 199

Die familienrechtliche Überlagerung bei Ehegatten ist also ein temporäres (nämlich durch Tatsachen auflösend bedingtes) Spezialitätsverhältnis zweier Rechtsverhältnisse, von denen eines familienrechtlicher Natur ist, das andere nicht.

aa) Gesetzliche Vorschriften

 

Rz. 200

Für die Zeit bestehender Ehe bestimmt bereits das Gesetz in einer Reihe von Vorschriften eine Überlagerung, die an das rechtliche Bestehen der Ehe anknüpft, also den mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils endenden Zeitraum.

Beispiele:

Die Privilegierung beim subjektiven Haftungsmaßstab (§ 1359 BGB).
Die Hemmung der Verjährung aus familiären Gründen (§ 207 BGB).

bb) Rechtsprechung

 

Rz. 201

Allerdings ist das Gesetz nicht abschließend, sondern lückenhaft, weil es nicht hinreichend berücksichtigt, dass nicht erst mit der Scheidung eine wesentliche Veränderung der Rechtslage, sondern schon mit der Trennung eine solche der Sachlage eintritt, denn schon ab diesem Zeitpunkt wird auch nach außen hin deutlich – und somit erst recht unter den Ehegatten selbst –, dass der eine für den anderen nicht mehr uneingeschränkt einstehen will. Dass hierdurch eine zunächst vorhandene Überlagerung beendet wird, ist nicht streitig und wird insbesondere angenommen

bei Schadenersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung, weil das Ehe- und Familienrecht die Deliktsregeln verdrängt,[108] es sei denn, weitere Tatumstände führen zur Anwendung des § 826 BGB,[109]
bei einer Miteigentumsgemeinschaft (Bruchteilsgemeinschaft) betreffend die Derogation der Fruchtziehung nach § 743 Abs. 1 BGB durch abweichende Handhabung,[110]
beim Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 BGB,[111]
beim Schuldverhältnis zwischen Ehegatten, welches dadurch entsteht, dass zwei Personen als Mitmieter einen Mietvertrag schließen,[112]
beim Steuerausgleich.[113]
 

Rz. 202

Die Überlagerung endet mit dem Scheitern der Ehe,[114] also mit der endgültigen Trennung.[115] Zu diesem Zeitpunkt lebt das Gesamtschuldverhältnis wieder auf, wenn nicht an seine Stelle andere rechtliche oder tatsächliche Verhältnisse treten, aus denen sich i.S.d. § 426 Abs. 1 BGB etwas anderes ergibt als der hälftige Ausgleich[116] (im Einzelnen siehe unten Rdn 206 ff.).

[108] Palandt/Brudermüller, § 1353 Rn 14.
[109] BGH FamRZ 1990, 367.
[110] BGH FamRZ 1990, 975; vgl. auch BGH FamRZ 1995, 216.
[111] BGH FamRZ 2011, 25; 2005, 1236; 1995, 216; Büttner, FamRZ 2000, 921, 924; Empfehlungen des AK 1 des 11. Deutschen Familiengerichtstages, FamRZ 1996, 337.
[112] Götz/Brudermüller, Die gemeinsame Wohnung Rn 90.
[113] BGH FamRZ 2006, 1178; 2002, 729; AG Bremen FamRZ 2001, 1071.
[114] BGHZ 87, 265; FamRZ 1986, 881, 882; 1990, 975.
[115] BGH FamRZ 2002, 729.
[116] BGH FamRZ 1995, 216.

c) Steuern – einzelne Fallkonstellationen

aa) Aufteilung der Steuerschuld – Grundsätze

(1) Außenverhältnis zur Finanzbehörde

 

Rz. 203

Durch die Festsetzung im Steuerbescheid haften die gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagten Ehegatten als Gesamtschuldner.[117]

[117] BGH FamRZ 2002, 729.

(2) Innenverhältnis der Ehegatten

 

Rz. 204

Erbringt ein Ehegatte die dem Finanzamt geschuldete Zahlung allein, werden beide Ehegatten von ihrer Steuerschuld befreit, da nach § 44 Abs. 2 AO die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner auch für die übrigen Schuldner wirkt.[118]

 

Rz. 205

Grundregel § 426 BGB

Die Ehegatten haften im Innenverhältnis zu gleichen Teilen, soweit nicht ein anderes bestimmt ist.

 

Rz. 206

Eine andere Bestimmung kann sich ergeben aus dem Gesetz, einer Vereinbarung, dem Inhalt und Zweck des Rechtsverhältnisses oder der Natur der Sache, mithin aus der besonderen Gestaltung des tatsächlichen Geschehens.[119]

 

Rz. 207

Vorrangig ist eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung. In Ermangelung ...

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