Rz. 75

Während sich in anderen Vertragssachen die anwaltliche Beratungstätigkeit weitgehend auf die Prüfung von Rechtstatsachen erstreckt, die in irgendeiner Form rechenbar sind (Unterhalt, Zugewinnausgleich, Versorgungsausgleich), steht beim Sorgerecht materiell das Kindeswohl im Mittelpunkt. Hier ist der Anwalt auf die Angaben der Mandantschaft angewiesen, wobei durchaus kritisch hinterfragt werden kann, ob deren Wertungen richtig sind und vom Kindeswohlgedanken getragen werden oder ob nicht vielleicht andere, insbesondere pekuniäre Interessen hinter der gewünschten Regelung stehen.

 

Rz. 76

Der Anwalt steht in Sorgesachen immer in der Gefahr eines ethischen Konfliktes. Adressat von § 156 FamFG, wonach in Kindschaftssachen auf das Einvernehmen der Eltern hinzuwirken ist, ist allein das Gericht. Der Anwalt ist auch hier einseitiger Interessenvertreter der von ihm vertretenen Partei. Andererseits weiß er, dass er diesen Interessen nur vordergründig und allenfalls mittelfristig dient, wenn er sich, ohne über den "Tellerrand des Auftraggebers" zu blicken, an einer Eskalationsschraube beteiligt, indem er unkritisch die Sichtweise der eigenen Mandantschaft übernimmt und kämpferisch vertritt, ohne die Auswirkungen für das Kind in Betracht zu ziehen, die sich aus der Art und Weise der Austragung ergeben oder sogar daraus, dass die Darstellung der Gegenseite in Teilbereichen richtig oder vertretbar sein kann. Dies darf aber niemals dazu führen, dass er seine Aufgabe vernachlässigt und seine Anwaltspflichten nicht erfüllt. Ein Hinwirken auf eine konsensuale Lösung gegen den Willen der Mandantschaft ist nicht zulässig (notfalls muss das Mandat beendet werden). Die Mandantschaft muss in solche Überlegungen einbezogen werden, was oft eine innere Öffnung hinsichtlich einer Vertragslösung bewirkt.

 

Rz. 77

 

Achtung!

Grundsätzlich nicht falsch ist gerade in Kindschaftssachen eine Herangehensweise mit dem Grundsatz: "Es könnte auch der Sachvortrag der Gegenseite richtig sein!"

 

Rz. 78

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs normiert § 1626 BGB mit der Bestimmung, dass die Eltern die Pflicht und das Recht zur elterlichen Sorge haben, kein Regel-Ausnahme-Verhältnis im Sinn einer Priorität zugunsten der gemeinsamen Sorge. Es solle vielmehr zwar in erster Linie Sache der Eltern sein, zu entscheiden, ob sie die gemeinsame Sorge nach ihrer Scheidung beibehalten wollen, woraus aber weder folge, dass die gemeinsame Sorge einen Vorrang vor der Alleinsorge hat noch, dass sie vermutlich besser für das Kind ist.[44]

 

Rz. 79

Aus der Feststellung, dass die Frage der Beibehaltung der elterlichen Sorge in erster Linie Sache der Eltern ist, folgt Grundlegendes für Eheverträge. Im Gegensatz etwa zum (ohnehin geltenden) gesetzlichen Güterstand, wo eine gleichlautende Vereinbarung nur deklaratorischen Charakter hat, ist hier eine Prüfung und Entscheidung der Eltern erforderlich, was ihrer Meinung nach das Beste für ihr Kind sei. Daran ändert nichts, dass die elterliche Sorge nicht mehr im amtswegigen Zwangsverbund steht und dass die Eltern die Frage, was dem Wohl ihres Kindes entspricht, nicht durch ein zweiseitiges Verpflichtungsgeschäft abschließend regeln können, sondern das Gericht als staatlicher Wächter letztlich im Einzelfall darüber entscheiden kann. Um späteren Streitigkeiten vorzubeugen ist es daher ratsam, eine entsprechende Klausel aufzunehmen, die sowohl die gemeinsame Entscheidung selbst als auch die tragende Erwägung zum Kindeswohl niederlegt.

 

Rz. 80

Muster 9.11: Gemeinsames Sorgerecht

 

Muster 9.11: Gemeinsames Sorgerecht

Die Erschienenen sind sich darin einig, dass es dem Wohl ihres Kindes _________________________, geb. am _________________________, am besten entspricht, wenn sie die elterliche Sorge auch nach der Scheidung gemeinsam ausüben.

Sie erklären daher: Wir wollen die gemeinsame elterliche Sorge für unser Kind über die Scheidung hinaus beibehalten.

Variante

Wir wollen auch nach der Scheidung die elterliche Sorge für unser Kind gemeinsam ausüben.

 

Rz. 81

Auch hier ist zu berücksichtigen, dass eine vertragliche Regelung, vor allem wenn sie eine Zeitlang umgesetzt worden ist, vom Familiengericht bei einem späteren Abänderungsantrag in die Abwägung mit einbezogen werden wird.[45] Ihre Bedeutung geht also über den Zeitraum des Einvernehmens hinaus. Die Mandantschaft muss daher wissen, dass auch eine Sorgerechtsregelung, vor allem, wenn sie eine Zeitlang gelebt worden ist, nicht ohne weiteres aufgekündigt werden kann, es sei denn, veränderte Umstände des Kindeswohls gebieten dies.

 

Rz. 82

 

Praxistipp

Bei Vereinbarungen, welche das Sorgerecht (das gilt auch für das Umgangsrecht), ausschließen, ist Zurückhaltung und besonders sorgfältige Prüfung des Sachverhalts geboten: Ob sich der Rechtsanwalt nicht nur zur Rechtsberatung, sondern auch moralisch im Sinne des Kindes verpflichtet fühlt, muss er selbst entscheiden und die Mandatsübernahme oder -fortführung ggf. ablehnen.

Zu beachten ist aber auf jeden Fall, dass ein solcher Vertrag der geri...

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