Rz. 591

Ein breites Feld, das oft sträflich nachlässig bearbeitet wird, ist der Verdienstausfallschaden (vgl. auch Anlage 12, siehe § 14 Rdn 16). Selbst für erfahrene Schadensspezialisten ist die Errechnung gar nicht so leicht. Man sollte sich dazu also Zeit nehmen und sich immer wieder fallbezogen mit der Spezialliteratur befassen.

 

Rz. 592

Oftmals ist es unerlässlich, ein auf die Berechnung von Verdienstausfallschäden spezialisiertes Sachverständigenbüro zu konsultieren. Denn der normale Anwalt ist kein Diplomkaufmann, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer und verfügt daher in aller Regel nicht über die erforderlichen Kenntnisse. Die im Zusammenhang mit der Übernahme der dadurch anfallenden Kosten seitens der Versicherer oftmals geäußerte Rechtsansicht, eine solche Begutachtung sei angesichts qualifizierter anwaltlicher Beratung nicht erforderlich und deshalb bestünde keine Verpflichtung, derartige Kosten zu übernehmen, ist eindeutig falsch. Im Rahmen der hier allein zu diskutierenden Schadensminderungspflicht kommt es allein auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten des Geschädigten, nicht auf die Qualifikation anwaltlicher Vertretung an, zumal eine solche Schadensberechnung durch einen Anwalt selbstverständlich nicht von der normalen Anwaltsvergütung umfasst ist und daher ohnehin zusätzlich zu vergüten wäre. Außerdem wird sicherlich kein Anwalt das mit einer möglichen Falschberechnung verbundene Haftungsrisiko zu tragen bereit sein.

aa) Definition

 

Rz. 593

Der Erwerbsschaden gem. §§ 842, 843 Abs. 1 BGB umfasst alle wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil und soweit er seine Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht mehr einsetzen kann. Zu ersetzen ist daher sowohl der Verlust von Einkommen jeglicher Art als auch aller Vermögensnachteile, die im Zusammenhang mit jeder Art von Verwertung der Arbeitskraft stehen. Der Verdienstausfallschaden setzt aber stets eine konkrete Vermögenseinbuße voraus. Eine fiktive Berechnung ist also unzulässig (BGH NJW 1970, 1411).

 

Rz. 594

Der Anspruch ist in Rentenform quartalsweise vorschüssig (§§ 843 Abs. 2, 760 BGB) zu zahlen. Er ist ausschließlich konkret auszugleichen. Eine abstrakte Minderung der Erwerbstätigkeit ist kein Erwerbsschaden (BGH NJW 1970, 1411), eine fiktive Abrechnung ist aber möglich (siehe unten Rdn 693 ff.).

 

Rz. 595

Hierzu gehören alle Einkünfte des Verletzten vor dem Unfall, die dieser zur Bestreitung seines Lebensunterhalts erzielt hat, also auch Nebeneinnahmen aus Schwarzarbeit, auch wenn sie unter Umgehung steuerlicher oder sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen erzielt wurden (BGH VersR 1967, 1068).

 

Rz. 596

Dazu gehören aber auch etwaig erzielbare höhere Einkünfte nach dem Unfall, die Folge einer zu erwartenden zukünftigen Karriere des Verletzten sein werden (so genannter Karriereschaden). Nachweispflichtig hierfür ist selbstverständlich allein der Geschädigte. Ihm steht aber im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ein erheblicher "Schätzungsbonus" zur Seite, der von der Rechtsprechung stets großzügig ausgelegt wird. Der Geschädigte kann z.B. auf die Karriere von Kollegen verweisen, die mit ihm zusammen zeitgleich in der gleichen Position beschäftigt waren.

 

Rz. 597

Der Erwerbsschaden wird nach der Differenzmethode berechnet (BGH 1999, 3625), was bedeutet, das der "Hätte-Verdienst" dem "Ist-Einkommen" gegenüber zu stellen ist. Davon abzusetzen sind dann etwaige tatsächlich erzielte Einkünfte, auch Rentenleistungen etc., sowie etwaiger Vorteilsausgleich (z.B. eingesparte Fahrtkosten zum Arbeitsplatz). Ggf. hat dann noch eine Korrektur nach den Grundsätzen des Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht stattzufinden (z.B. schuldhaft nicht erzieltes, aber erzielbares Einkommen).

 

Rz. 598

In der Praxis ist also zunächst das "Hätte-Einkommen" darzustellen. Ihm gegenüberzustellen ist das tatsächliche "Ist-Einkommen", also die Summe aller ersatzweise tatsächlich geleisteten Zahlungen, von wem auch immer sie stammen. Die Differenz ergibt den Verdienstausfallschaden.

bb) Einzelpositionen

 

Rz. 599

Der "Hätte-Verdienst" ist stets das erzielbare Nettoeinkommen (mehr dazu siehe Rdn 603). Zum "Hätte-Einkommen" gehören beispielsweise auch folgende Zulagen:

(1) Voller Ersatz

 

Rz. 600

Beim Nichtselbstständigen: Löhne und Gehälter einschließlich aller Zusatzzahlungen
Erschwerniszulagen (OLG Hamm zfs 1996, 211)
Auslandsverwendungszulagen (BGH v. 27.10.2015 – VI ZR 183/15 – VersR 2015, 1569 = zfs 2016, 200; OLG Hamm DAR 2006, 274)
Ergebnisbeteiligungen (BGH VersR 2017, 304)
Beim Selbstständigen: Gewinn und Gesellschafterbeteiligung
Nebeneinkünfte aller Art, Trinkgelder (OLG München zfs 1983, 229), Studentenjobs
Unentgeltliche Tätigkeit im Familienbetrieb, Haushaltsführung (siehe oben Rdn 439 ff.), freie Kost und Logis
Ausfall von Eigenleistungen beim Hausbau (OLG München zfs 1990, 154)
Versicherungsrechtliche Nachteile, z.B. Prämienerhöhungen, Risikozuschläge, Verlust von Beitragsrückerstattung
Schichtarbeitszeitvergütung (OLG Hamm zfs 1996, 211)
Überstundenvergütung (LG Saarbrücke...

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