Rz. 1

Die Universalsukzession und der Vonselbsterwerb als zwei wesentliche Charakteristika des deutschen Erbrechts führen dazu, dass nicht nur die aktiven Vermögenswerte des Erblassers, sondern auch seine Passiva im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den/die Erben übergehen. Die gesetzlichen Regeln über die Erbenhaftung befassen sich mit den passiven Vermögenswerten, die der Erblasser hinterlässt bzw. die mit seinem Tod entstanden sind. Es geht hier primär um die Rechtsnachfolge in Schuldverhältnisse auf der Schuldnerseite.

1. Vermögensverschmelzung als Ergebnis der Gesamtrechtsnachfolge

 

Rz. 2

Das Gesetz ist mit § 1922 BGB den Weg der Vermögensverschmelzung gegangen: Bisheriges Vermögen des Erben und Nachlass stehen ab dem Erbfall einem Rechtssubjekt, dem Erben, zu. Den Gläubigern des Erblassers wird kraft Gesetzes ein neuer Schuldner präsentiert: der Erbe. Die mit dem Erbfall eintretende Verschmelzung zweier Vermögensmassen führt zu einer Gefährdung der Gläubigerrechte. Dies hat zur Folge, dass die dem Nachlassgläubiger bisher zur Verfügung stehende Haftungsmasse nicht mehr ohne weiteres festgestellt werden kann.

2. Die drei Interessengruppen

 

Rz. 3

Dabei sind die widerstreitenden Interessen von drei Gruppen zu regeln:

(1) Die Gläubiger des Erblassers haben ein Interesse daran, dass ihnen der aktive Nachlass als Haftungsgrundlage weiterhin zur Verfügung steht und nicht etwa Gläubiger des Erben darauf zugreifen.

(2) Die Gläubiger des Erben sind daran interessiert, dass ihnen das bisherige aktive Vermögen des Erben als Haftungsgrundlage verbleibt und nicht die Gläubiger des Erblassers ihnen ihr Recht streitig machen.

(3) Der Erbe will nicht plötzlich mit seinem bisherigen Vermögen (Eigenvermögen) für Schulden des Erblassers haften, wenn der aktive Nachlass nicht für alle Nachlassgläubiger ausreicht.

Das wäre nicht so problematisch, wenn Nachlass einerseits und bisheriges Vermögen des Erben andererseits rechtlich getrennte selbstständige Vermögensmassen blieben. Dies ist aber gerade nicht der Fall.

3. Haftungsbeschränkung durch Trennung der Vermögensmassen

 

Rz. 4

In Erkenntnis dieser Gefährdung beseitigt das Gesetz bei wirksamer Einleitung von Haftungsbeschränkungsmaßnahmen die bei Eintritt des Erbfalls entstandene Vermögensverschmelzung und führt wiederum eine Trennung der beiden Vermögensmassen herbei (Stichwort: Gütersonderung).

Solange allerdings die Vermögensverschmelzung besteht, geht das Gesetz seinen mit der Universalsukzession eingeschlagenen Weg konsequent: Die erbrechtliche Gesamtrechtsnachfolge führt grundsätzlich dazu, dass

den Gläubigern des Erblassers mit dem Erbfall auch das bisherige Vermögen des Erben haftet,
den Gläubigern des Erben auch der Nachlass haftet.

4. Unterscheidung zwischen Schuld und Haftung

 

Rz. 5

Die vom Gesetz sehr kompliziert geregelte Erbenhaftung wird verständlicher, wenn von vornherein die Begriffe der Schuldnerschaft und der Haftung streng differenziert werden.[1] Die Universalsukzession des § 1922 BGB führt dazu, dass der Erbe Schuldner aller Verbindlichkeiten des Erblassers wird, weil er die Rechtsträgerschaft aller Aktiva und aller Passiva des Nachlasses erwirbt. Das Erbenhaftungsrecht regelt im Anschluss daran die Frage, mit welcher Vermögensmasse der Erbe haftet, ob nur mit dem Nachlass – als Folge einer wirksamen Haftungsbeschränkung – oder nur mit dem Eigenvermögen oder sowohl mit dem Nachlass als auch mit dem Eigenvermögen.

Deshalb ist die Eingruppierung der einzelnen Verbindlichkeiten auch von entscheidender Bedeutung – handelt es sich um Nachlassverbindlichkeiten, Eigenverbindlichkeiten oder um beides? Erst nach Klärung dieser Fragen kann die Frage beantwortet werden, mit welcher Vermögensmasse der Erbe für die jeweilige Verbindlichkeit haftet.

[1] Darauf weist Graf zu Recht hin: Graf, ZEV 2000, 125, 126.

5. Zu klärende Vorfragen bei Inanspruchnahme eines Erben

 

Rz. 6

Wird ein Erbe außergerichtlich oder gerichtlich in Anspruch genommen, so sind immer drei Fragen zu klären:

(1) Liegt eine Nachlassverbindlichkeit vor?

(2) Wird für die Nachlassverbindlichkeit unbeschränkt oder gegenständlich – auf den Nachlass – beschränkt gehaftet?

(3) Gehört, wenn ein Vollstreckungszugriff stattgefunden hat, der Gegenstand der Vollstreckung zum haftenden Vermögen?

Die Haftungsproblematik wird hier aus zwei Blickrichtungen dargestellt:

aus der Sicht des Erben: die Abwehr von Nachlassgläubigern in sein Eigenvermögen (siehe Rdn 193 ff.) und
aus der Sicht des Nachlasses: die Abwehr von Eigengläubigern des Erben in den Nachlass (siehe Rdn 277 ff.).

6. Erbschaftsausschlagung bei überschuldetem Nachlass

 

Rz. 7

Der Erbe könnte die ihm angefallene Erbschaft auch ausschlagen – wie dies häufig geschieht, wenn der Verdacht einer überschuldeten Erbschaft besteht. Damit wäre allerdings derjenige Erbe mit dem Haftungsproblem konfrontiert, dem die Erbschaft anstelle des Ausschlagenden nach § 1953 Abs. 2 BGB anfällt.

Zur Anfechtung der Erbschaftsannahme bei Irrtum über die Nachlassüberschuldung siehe Rdn 178 ff.

7. Ausblick auf das Recht der Erbengemeinschaft

 

Rz. 8

Kraft der gesamthänderischen Bindung des Nachlasses in der Erbengemeinschaft besteht dort bis zur Erbteilung eine strenge Trennung zwischen Eigenvermögen der Erben einerseits und Nachlass andererseits. Dies hat selbstverständlich Auswirkungen auf die Haftungssituation bei bestehender Erbenmehrheit.

8. Sicherung des Gläubigers

 

Rz....

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