A. Allgemeines

 

Rz. 1

Nicht selten wird der Anwalt bereits vor dem Erbfall mit der Frage über die Rechte eines Pflichtteilsberechtigten konfrontiert. Die Fragen lassen sich grundsätzlich in zwei Kategorien gliedern. Zum einen interessiert den Mandanten schon zu Lebzeiten des Erblassers die Höhe seines Pflichtteilsanspruchs, aber auch die Frage der Rechtmäßigkeit einer Pflichtteilsentziehung,[1] und zum anderen wird im Rahmen von Übergabeverträgen die Frage der Anrechnung und Ausgleichung nach §§ 2050 ff., 2315, 2316 BGB zu prüfen sein.

[1] BGH NJW 1974, 1084.

B. Die Rechte des Pflichtteilsberechtigten vor dem Erbfall

 

Rz. 2

Vor dem Erbfall stehen dem Pflichtteilsberechtigten so gut wie keine Rechte zu. Er kann sich zwar bereits hinsichtlich der Höhe seines Pflichtteils erkundigen, dies ist jedoch nur vorläufig, da sich zum einen (bspw. durch eine Güterrechtsvereinbarung) die Pflichtteilsquote und zum anderen durch eine Erhöhung oder Reduzierung des Nachlasses die Pflichtteilssumme erheblich verändern kann.

 

Rz. 3

Fraglich ist, inwieweit dem Pflichtteilsberechtigten das Recht zusteht, die Rechtmäßigkeit einer Pflichtteilsentziehung zu Lebzeiten des Erblassers gerichtlich feststellen zu lassen. Dem Erblasser gesteht die h.M. ein Feststellungsinteresse dahingehend zu, die Erbfolge nach seinem Tod zu regeln.[2] Auch ein Feststellungsinteresse des Pflichtteilsberechtigten bejaht der BGH jedenfalls für den Fall, dass der Erblasser das Entziehungsrecht bereits in einer Verfügung von Todes wegen ausgeübt hat.[3]

[2] BGH NJW 1974, 1084, 1085; OLG Hamburg NJW 1988, 977; NK-BGB/Herzog, § 2333 Rn 44.

C. Die lebzeitige Zuwendung und die Auswirkung auf den Pflichtteil

I. Anrechnung und Ausgleichung

 

Rz. 4

Bei der Beratung eines pflichtteilsberechtigten Abkömmlings hinsichtlich einer lebzeitigen Zuwendung durch den Erblasser kann sich das Problem der Anrechnung und Ausgleichung der Zuwendung auf den Pflichtteil stellen (§§ 2315, 2316 BGB).[4] Nicht selten ist dies in den notariellen Übergabeverträgen vorgesehen. Dem pflichtteilsberechtigten Mandanten sind bei der Überprüfung eines Übergabevertrages die Bedeutung und Auswirkung der Anrechnung nach § 2315 BGB und der Ausgleichung nach §§ 2050 ff., 2316 BGB zu erläutern.

 

Rz. 5

Gleiches gilt für die Anrechnung eines Eigengeschenks im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach § 2327 BGB. Die Anrechnung eines Eigengeschenks erfolgt bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs unabhängig von einer Anordnung durch den Erblasser.

[4] In der Praxis stellt man fest, dass sowohl die Anrechnung auf den Pflichtteil (§ 2315 BGB) als auch die Ausgleichung unter Abkömmlingen (§§ 2050, 2316 BGB) eher willkürlich in die Verträge aufgenommen werden. So kann es passieren, dass bei mehreren Übergabeverträgen ein Teil der Zuwendungen als ausgleichspflichtig, der übrige Teil als nicht ausgleichspflichtig angeordnet wurde. Eine genaue Überprüfung der Vertragsklauseln ist hier unbedingt erforderlich.

II. Die Anrechnung nach § 2315 BGB

 

Rz. 6

Bei der Anrechnung nach § 2315 BGB muss sich der Pflichtteilsberechtigte einen Vorempfang, den er zu Lebzeiten des Erblassers erhalten hat, auf seinen Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen, sofern der Erblasser die Zuwendung mit einer entsprechenden Bestimmung versehen hat. Dabei muss der Erblasser die Anrechnung spätestens im Zeitpunkt der Zuwendung bestimmt haben.[5]

 

Rz. 7

Nicht möglich ist es, dass die Anrechnungsbestimmung nach der Zuwendung, z.B. durch Verfügung von Todes wegen, erfolgt.[6] Bei Mitwirkung des Pflichtteilsberechtigten kann das wirtschaftliche Ergebnis einer nachträglichen Anrechnungsvereinbarung aber durch (notariell zu beurkundenden) teilweisen Pflichtteilsverzicht erfolgen, §§ 2346 Abs. 2, 2348 BGB.

 

Rz. 8

An die äußere Form der Anrechnungsbestimmung werden keine besonderen Anforderungen gestellt. Sie kann auch konkludent erfolgen, sofern das der Zuwendung zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft nicht (etwa nach § 311b Abs. 1 BGB) formbedürftig ist.[7] Eine konkludente Anrechnungsbestimmung ist aber nur dann anzunehmen, wenn der Empfänger sie bewusst erkannt hat und dennoch die Zuwendung nicht zurückweist.[8] Die innere Form muss darauf gerichtet sein, dass die Zuwendung auf den Pflichtteil anzurechnen ist.

 

Rz. 9

So wird eine Zuwendung mit der (inhaltlich falschen) Bestimmung, dass diese auf den "Erbteil" anzurechnen ist,[9] regelmäßig nur als ausgleichspflichtig im Sinne von §§ 2050 ff., 2316 BGB anzusehen sein, nicht aber als anrechnungspflichtig im Sinne von § 2315 BGB.[10] Nur unter bestimmten Voraussetzungen kann durch Auslegung ermittelt werden, dass auch eine Anrechnung auf den Pflichtteil gemeint war.[11] Der Zuwendende muss seinen Anrechnungswillen dem Empfänger gegenüber bewusst gemacht haben.[12] So soll die Bestimmung, dass der Empfänger nach Annahme der Zuwendung "nichts mehr bekomme", als Anrechnungsbestimmung im Sinne von § 2315 BGB gewertet werden können.[13]

 

Rz. 10

Umstritten ist, ob die Anrechnungsbestimmung bei einer unentgeltlichen Zuwendung an einen Minderjährigen dazu führt, dass diese i.S.v. § 107 BGB rechtlich nachteilig ist.[14] M.E. ist diese Frage zu bejahen, da die Anrechnungsbestimmung den Pf...

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