I. Anrechnung und Ausgleichung

 

Rz. 4

Bei der Beratung eines pflichtteilsberechtigten Abkömmlings hinsichtlich einer lebzeitigen Zuwendung durch den Erblasser kann sich das Problem der Anrechnung und Ausgleichung der Zuwendung auf den Pflichtteil stellen (§§ 2315, 2316 BGB).[4] Nicht selten ist dies in den notariellen Übergabeverträgen vorgesehen. Dem pflichtteilsberechtigten Mandanten sind bei der Überprüfung eines Übergabevertrages die Bedeutung und Auswirkung der Anrechnung nach § 2315 BGB und der Ausgleichung nach §§ 2050 ff., 2316 BGB zu erläutern.

 

Rz. 5

Gleiches gilt für die Anrechnung eines Eigengeschenks im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach § 2327 BGB. Die Anrechnung eines Eigengeschenks erfolgt bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs unabhängig von einer Anordnung durch den Erblasser.

[4] In der Praxis stellt man fest, dass sowohl die Anrechnung auf den Pflichtteil (§ 2315 BGB) als auch die Ausgleichung unter Abkömmlingen (§§ 2050, 2316 BGB) eher willkürlich in die Verträge aufgenommen werden. So kann es passieren, dass bei mehreren Übergabeverträgen ein Teil der Zuwendungen als ausgleichspflichtig, der übrige Teil als nicht ausgleichspflichtig angeordnet wurde. Eine genaue Überprüfung der Vertragsklauseln ist hier unbedingt erforderlich.

II. Die Anrechnung nach § 2315 BGB

 

Rz. 6

Bei der Anrechnung nach § 2315 BGB muss sich der Pflichtteilsberechtigte einen Vorempfang, den er zu Lebzeiten des Erblassers erhalten hat, auf seinen Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen, sofern der Erblasser die Zuwendung mit einer entsprechenden Bestimmung versehen hat. Dabei muss der Erblasser die Anrechnung spätestens im Zeitpunkt der Zuwendung bestimmt haben.[5]

 

Rz. 7

Nicht möglich ist es, dass die Anrechnungsbestimmung nach der Zuwendung, z.B. durch Verfügung von Todes wegen, erfolgt.[6] Bei Mitwirkung des Pflichtteilsberechtigten kann das wirtschaftliche Ergebnis einer nachträglichen Anrechnungsvereinbarung aber durch (notariell zu beurkundenden) teilweisen Pflichtteilsverzicht erfolgen, §§ 2346 Abs. 2, 2348 BGB.

 

Rz. 8

An die äußere Form der Anrechnungsbestimmung werden keine besonderen Anforderungen gestellt. Sie kann auch konkludent erfolgen, sofern das der Zuwendung zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft nicht (etwa nach § 311b Abs. 1 BGB) formbedürftig ist.[7] Eine konkludente Anrechnungsbestimmung ist aber nur dann anzunehmen, wenn der Empfänger sie bewusst erkannt hat und dennoch die Zuwendung nicht zurückweist.[8] Die innere Form muss darauf gerichtet sein, dass die Zuwendung auf den Pflichtteil anzurechnen ist.

 

Rz. 9

So wird eine Zuwendung mit der (inhaltlich falschen) Bestimmung, dass diese auf den "Erbteil" anzurechnen ist,[9] regelmäßig nur als ausgleichspflichtig im Sinne von §§ 2050 ff., 2316 BGB anzusehen sein, nicht aber als anrechnungspflichtig im Sinne von § 2315 BGB.[10] Nur unter bestimmten Voraussetzungen kann durch Auslegung ermittelt werden, dass auch eine Anrechnung auf den Pflichtteil gemeint war.[11] Der Zuwendende muss seinen Anrechnungswillen dem Empfänger gegenüber bewusst gemacht haben.[12] So soll die Bestimmung, dass der Empfänger nach Annahme der Zuwendung "nichts mehr bekomme", als Anrechnungsbestimmung im Sinne von § 2315 BGB gewertet werden können.[13]

 

Rz. 10

Umstritten ist, ob die Anrechnungsbestimmung bei einer unentgeltlichen Zuwendung an einen Minderjährigen dazu führt, dass diese i.S.v. § 107 BGB rechtlich nachteilig ist.[14] M.E. ist diese Frage zu bejahen, da die Anrechnungsbestimmung den Pflichtteilsanspruch mindert und sogar ganz ausschließen kann. Auch wenn man dies anders sehen wollte, empfiehlt sich angesichts der unsicheren Rechtslage ein Antrag auf Einsetzung eines Ergänzungspflegers (§ 1909 BGB).[15]

[5] Palandt/Weidlich, § 2315 Rn 3. Dem Pflichtteilsberechtigten soll die Möglichkeit der Zurückweisung der Zuwendung gegeben werden.
[6] Palandt/Weidlich, § 2315 Rn 3.
[7] Palandt/Weidlich, § 2315 Rn 3.
[8] BayOLGZ 1959, 77 ff.
[9] Eine solche "Anrechung" gibt es nicht.
[10] Dauner-Lieb/Grziwotz/Herrler/Schmied-Kovařík, Pflichtteilsrecht, § 2315 Rn 29.
[11] Staudinger/Otte, § 2315 Rn 17.
[12] BayObLGZ 1959, 81.
[13] BayObLG HRR 1929 Nr. 390.
[14] Zum Meinungsstand Staudinger/Otte, § 2315 Rn 28 ff. m.w.N.
[15] Da es sich bei der Anordnung der Ergänzungspflegschaft um ein Amtsverfahren handelt, hat der "Antrag" nur die Bedeutung einer Anregung nach § 24 FamFG.

III. Die Ausgleichung nach §§ 2050 ff., 2316 BGB unter Abkömmlingen

 

Rz. 11

Die Anwendbarkeit der Ausgleichungsvorschrift des § 2316 BGB ist dann gegeben, wenn mehrere Abkömmlinge vorhanden sind, die im hypothetischen Falle, wenn es zu einer gesetzlichen Erbfolge kommen würde, gesetzliche Erben geworden wären. D.h., es ist hier nicht ausschlaggebend, welche letztwillige Verfügung der Erblasser hinterlassen hat, ob er einen Abkömmling enterbt hat[16] oder ein anderer Alleinerbe[17] geworden ist. Für die Berechnung des Pflichtteils nach den Ausgleichsvorschriften kommt es vielmehr nur auf den hypothetischen gesetzlichen Erbteil an. Für die Vorgehensweise ist demnach festzuhalten, dass vorab zu prüfen ist, ob nach gesetzlicher Erbfolge ein A...

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