Rz. 88

Sind Anrechte nicht ausgleichsreif, kann ein Wertausgleich bei der Scheidung nicht erfolgen. Diese Anrechte können nur im Ausgleich nach der Scheidung ausgeglichen werden, was v.a. voraussetzt, dass der Ausgleichspflichtige schon Rente bezieht (vgl. § 20 VersAusglG, Einzelheiten siehe § 9 Rdn 38 ff.).

 

Rz. 89

In welchen Fällen ein Anrecht nicht ausgleichsreif ist, ist abschließend[63] in § 19 VersAusglG aufgeführt. Betroffen sind diejenigen Anrechte, bei denen ein Rechtsanspruch der ausgleichspflichtigen Person selbst auf eine Leistung noch nicht hinreichend verfestigt ist, in denen der Ausgleich wegen Unwirtschaftlichkeit unzweckmäßig oder wegen Fehlens einer Eingriffsbefugnis deutscher Gerichte nicht möglich ist, sowie degressive Bestandteile von Anrechten.

 

Rz. 90

Ob diese Voraussetzungen bei einem Anrecht vorliegen, entscheidet sich nicht nach dem Zeitpunkt des Ehezeitendes, sondern nach demjenigen der letzten mündlichen Verhandlung über den Versorgungsausgleich.[64] Das ergibt sich jetzt eindeutig aus § 5 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG, der bestimmt, dass rechtliche oder tatsächliche Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit, die auf den Ehezeitanteil zurückwirken, zu berücksichtigen sind. Das entspricht auch der Rechtsprechung zum früheren Recht.[65]

 

Rz. 91

 

Beispiel

Als F den Scheidungsantrag stellt, ist ihr Mann M gerade seit 54 Monaten bei seinem Arbeitgeber beschäftigt, von dem er eine Versorgungszusage für eine Betriebsrente i.H.v. 100 EUR erhalten hat. Das Scheidungsverfahren schleppt sich über acht Monate hin, bevor die letzte mündliche Verhandlung stattfindet. Zu diesem Zeitpunkt beträgt die Dauer der Betriebszugehörigkeit von M bereits 62 Monate. Das Anrecht ist deswegen im Laufe des Verfahrens ausgleichsreif geworden und muss geteilt werden. Wird das unterlassen, kann der Ausgleich bei der Scheidung später nicht nachgeholt werden, denn in Bezug auf betriebliche Anrechte findet eine Abänderung von Entscheidungen zum Versorgungsausgleich nicht statt (§ 225 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 32 VersAusglG). Das bedeutet, dass der Ausgleichsberechtigte dann auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich verwiesen bleibt. Kommt es zu diesem Ausgleich nicht, weil etwa der Ausgleichsberechtigte vor dem Rentenbezug verstirbt, sodass die Ausgleichsvoraussetzungen des § 20 VersAusglG nie eintreten, bleibt es dabei, dass diese Anrechte nicht ausgeglichen werden.[66]

 

Rz. 92

Zu beachten ist, dass der Ausschluss von nicht ausgleichsreifen Anrechten das FamG i.R.d. Wertausgleichs bei der Scheidung nicht von der Klärung der Frage entbindet, ob nicht ausgleichsreife Anrechte dem Grunde nach bestehen, denn alle Anrechte, die wegen fehlender Ausgleichsreife nicht in den Wertausgleich bei der Scheidung einbezogen werden können, müssen in der Begründung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich ausdrücklich aufgeführt werden (§ 224 Abs. 4 FamFG). Das setzt zumindest voraus, dass sich das Gericht damit befasst hat, ob derartige Anrechte bestehen. Außerdem müssen auch nicht ausgleichsreife Anrechte grds. bei der Ausübung von Ermessen berücksichtigt werden (v.a. solchen nach § 18 Abs. 1 oder 2 VersAusglG).

 

Rz. 93

Noch weitergehende Aufklärungspflichten bestehen dann, wenn es sich bei den nicht ausgleichsreifen Anrechten um solche bei einem ausländischen, über- oder zwischenstaatlichen Versorgungsträger handelt, weil das dazu führen kann, dass auch andere Anrechte nur schuldrechtlich nach der Scheidung auszugleichen sind (vgl. § 19 Abs. 3 VersAusglG, siehe dazu Rdn 133 ff.).

[63] Eichenhofer, FPR 2009, 211, 212.
[64] Hk-VersAusglG/Götsche, § 19 VersAusglG Rn 7.
[65] BGH FamRZ 1999, 221, 222; BGH FamRZ 1987, 921, 922.
[66] Kemper, ZFE 2009, 204, 206; Krenzler/Borth/Norpoth, Teil H Rn 152.

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