Rz. 5

Da die Zwangsversteigerung eine der Möglichkeiten der Zwangsvollstreckung i.S.d. 8. Buchs der ZPO ist, gilt auch für dieses Vollstreckungsverfahren die Vollstreckungsschutzvorschrift des § 765a ZPO. Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht jede Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise einstellen, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die für den Schuldner mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist, § 765a ZPO. Zweck der Vorschrift ist, dem Schuldner in ganz besonders gelagerten Fällen zur Vermeidung oder Milderung besonderer, dem allgemeinen Rechtsempfinden nach unzumutbarer Härte Schutz vor der Vollstreckung zu gewähren. Andererseits stellt § 765a ZPO als "ultima ratio" eine Ausnahmevorschrift dar und ist daher eng auszulegen.[6] Die grundgesetzlich geschützten Rechte des Schuldners sind immer zu berücksichtigen.[7] Allerdings dürfte die geforderte sittenwidrige Härte einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme nur in ganz seltenen Ausnahmefällen zutreffen.

 

Rz. 6

In jedem Fall sollten die berechtigten Belange des Gläubigers ebenfalls nicht aus dem Auge verloren werden. Es genügt nicht, die Interessen von Schuldner und Gläubiger gegeneinander abzuwägen.[8] Der Gläubiger hat vielmehr grundsätzlich ein schutzwürdiges Interesse an der Vollstreckung, sobald er einen Vollstreckungstitel erwirkt hat. Das Verfahren ist daher nur dann einzustellen, wenn die für und gegen die Vollstreckung sprechenden Interessen von Gläubiger und Schuldner sich krass missverhalten. Dabei müssen die Umstände eindeutig zugunsten des Schuldners sprechen, den auch die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen trifft. Hierzu führt der BGH[9] wie folgt aus:

Zitat

"Das durch die Grundrechte auf Schutz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) geschützte Interesse des Gläubigers an der Fortsetzung der Räumungsvollstreckung verbietet eine unbefristete Einstellung der Zwangsvollstreckung auch, wenn sich derzeit nicht prognostizieren lässt, wann es zu einer veränderten Situation hinsichtlich der für den Schuldner bestehenden Suizidgefahr im Fall der Durchführung einer Zwangsräumung kommen wird. Es obliegt dem Schuldner, nach Ablauf einer angemessen befristeten vorläufigen Einstellung der Räumungsvollstreckung darzulegen und zu beweisen, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Einstellung weiterhin vorliegen. Solange es angesichts der im Vollstreckungsverfahren ergangenen Sachverständigengutachten nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint, eine mit der Räumung für den psychisch erkrankten Schuldner einhergehende suizidale Lebens- oder Gesundheitsgefahr dergestalt zu vermindern, dass die therapeutisch zur Verfügung stehenden – auch stationären – Maßnahmen strategisch ausgeschöpft werden, darf das Vollstreckungsgericht die Zwangsvollstreckung nicht unbefristet und ohne Auflagen einstellen, ohne damit die berechtigten Interessen des Gläubigers an einem effektiven staatlichen Rechtsschutzsystem zu verletzen. Denn andernfalls würde der Schuldner davon frei darzulegen und zu beweisen, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Einstellung weiterhin vorliegen, während der Gläubiger damit belastet würde, beim Vollstreckungsgericht eine Aufhebung der Einstellung wegen Änderung der Sachlage (§ 765a IV ZPO) zu beantragen und das Antragsrisiko zu tragen. Ziel des vorläufigen Vollstreckungsschutzes, aber auch Aufgabe des Schuldners bleibt es, selbst wenn die Aussichten gering sein mögen, die Gesundheit des Schuldners wiederherzustellen; er selbst hat daran mitzuwirken und dem Vollstreckungsgericht seinen Behandlungsstand nachzuweisen. Eine lange Verfahrensdauer – bisher schon und in Zukunft – ist in dieser Hinsicht ohne Belang, so dass eine auch auf Jahre befristete Einstellung der Räumungsvollstreckung einzelfalladäquat bemessen sein kann. Ein medizinisches Privatgutachten eines zuständigen Amtsarztes, der mit den Räumungsschuldnern oder einem von ihnen bekannt ist und der es, weil er sich befangen fühlt, ablehnt, einen gerichtlichen Gutachterauftrag zu übernehmen, kann ob dieser Umstände nicht bereits als bloßes Gefälligkeitsattest abgetan werden. Vielmehr kommt in Betracht, dass das Gutachten als Grundlage für das Gutachten des gerichtlich bestellten Gutachters dient, wenn es diesem Gutachter nicht gelingt, den suizidgefährdeten Schuldner zu einem Untersuchungsgespräch zu bewegen und das Gericht infolgedessen um eine Begutachtung nach Aktenlage bittet."

Das LG Mühlhausen führt aus:

Zitat

"Erhebliche gesundheitliche Risiken sind im Rahmen der erforderlichen Abwägung in einem ersten Schritt regelmäßig durch ein Sachverständigengutachten aufzuklären. Ist ein solches Risiko zu bejahen, ist in einem zweiten Schritt mit Blick auf die Art und Weise der Vollstreckung zu prüfen, wie seitens des Vollstreckungsgerichts einem solchen Risiko wirksam begegnet w...

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