Rz. 2

Ausgangspunkt für die Unfallregulierung ist zunächst der Fahrzeugschaden, dessen Beseitigung in der Regel den größten Kostenfaktor darstellt und die übrigen Schadenpositionen (Mietwagenkosten, Nutzungsausfallentschädigung, Sachverständigenkosten usw.) entscheidend beeinflusst.[1]

 

Rz. 3

Die Beseitigung des Fahrzeugschadens stellt somit die Weichen für die übrigen Sachfolgeschäden.

 

Rz. 4

Wird ein neuwertiges Fahrzeug stark beschädigt, so kann der Geschädigte möglicherweise auf Neuwagenbasis abrechnen und bis zur Auslieferung des Neufahrzeugs in bestimmtem Umfang einen Mietwagen benutzen oder Nutzungsausfallentschädigung geltend machen. Besonders schwierig wird die Entscheidung, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs erreichen oder sogar übersteigen (wirtschaftlicher Totalschaden).

 

Rz. 5

Oft ist der Geschädigte froh, für ein unzuverlässiges und schwer verkäufliches Fahrzeug vom gegnerischen Haftpflichtversicherer den Wiederbeschaffungswert zu erhalten. In anderen Fällen möchte er sich von seinem vertrauten und zuverlässigen Fahrzeug nicht trennen und die notwendigen Reparaturarbeiten "koste es, was es wolle" durchführen lassen.

 

Rz. 6

Der mit der Schadenregulierung beauftragte Rechtsanwalt muss seinen Mandanten rechtzeitig belehren und beraten, insbesondere vor wirtschaftlich unvernünftigen Entscheidungen warnen, für die kein Haftpflichtversicherer einzutreten hat.

[1] Greiner, zfs 2006, 63 und zfs 2006, 124 mit umfassender Rechtsprechungsübersicht; Greger, NZV 2006, 1 ff. mit umfassender Rechtsprechungsübersicht.

I. Neuwertentschädigung

 

Rz. 7

Bei erheblicher Beschädigung eines neuwertigen Fahrzeugs kann der Geschädigte den Neupreis verlangen und das beschädigte Fahrzeug dem Versicherer zur Verfügung stellen bzw. anderweitig veräußern; dieses gilt in der Regel nur für Pkw, nicht für Nutzfahrzeuge.[2]

[2] OLG München, SP 2005, 195.

1. Kilometerleistung

 

Rz. 8

Die Abrechnung auf Neuwagenbasis ist grundsätzlich auf Kfz bis zu einer Fahrleistung von 1.000 km beschränkt.[3]

Nur ausnahmsweise kann auch ein Fahrzeug mit einer Kilometerleistung von bis zu 3.000 km als neuwertig angesehen werden.[4]

Bei einer Laufleistung bis 1.000 km liegt in der bisherigen Nutzung kein messbarer Vorteil. Bei Fahrleistungen über 1.000 km ist jedoch ein Abschlag vom Neupreis zu machen.[5] Dieser Abschlag kann pro 1.000 km 1–1,5 % des Neupreises ausmachen.[6]

[3] BGH, VI ZR 110/08, zfs 2010, 22 = DAR 2009, 452 = NZV 2009, 487, Wellner, BGH-Rechtsprechung zum Kfz-Sachschaden, § 1 Rn 88; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1986, 254; OLG Hamm, SP 2000, 13; OLG Düsseldorf, SP 2004, 158; OLG Zweibrücken, SP 2004, 160; OLG Hamburg, 14 U 95/07, NZV 2008, 555; OLG Nürnberg, 5 U 29/08, NZV 2009, 559.
[4] OLG Hamm, SP 2000, 13; OLG Celle, 14 U 181/11, r+s 2012, 567.
[5] BGH, VI ZR 213/81, NJW 1983, 2694.
[6] OLG Schleswig, VersR 1985, 373.

2. Gebrauchsdauer

 

Rz. 9

Bei einer Gebrauchsdauer von acht Wochen ist ein Fahrzeug auch dann nicht mehr neuwertig, wenn es nur eine Fahrleistung von weniger als 1.000 km erreicht hat.[7]

[7] OLG Nürnberg, zfs 1994, 408 = r+s 1994, 337; OLG Hamm, r+s 1994, 378 = VersR 1995, 930: zwei Monate 850 km; OLG Naumburg, zfs 1996, 134 = SP 1996, 212: zwei Monate, 2.955 km.

3. Schadenumfang

 

Rz. 10

Aber nicht jede Beschädigung eines neuwertigen Fahrzeugs löst einen Anspruch auf Neuwertersatz aus.

Die Beschädigung muss so erheblich sein, dass eine Weiterbenutzung des reparierten Fahrzeugs unter Übernahme der Reparaturkosten und Zahlung eines angemessenen Minderwertes bei objektiver Abwägung der Interessenlage dem Geschädigten nicht zugemutet werden kann.[8]

Das Fahrzeug muss durch den Unfallschaden "den Schmelz der Neuwertigkeit" verloren haben.[9]

 

Praxistipp

Eine Faustregel besagt, dass die Reparaturkosten mindestens 30 % des Fahrzeugwertes ausmachen müssen.[10]

[8] BGH, VI ZR 110/08, zfs 2010, 22 = DAR 2009, 452 = NZV 2009, 487, Wellner, BGH-Rechtsprechung zum Kfz-Sachschaden, § 1 Rn 88; OLG Köln, VersR 1989, 60; OLG Celle, zfs 1992, 300; OLG Karlsruhe, zfs 1992, 12; KG, zfs 1992, 249; OLG Celle, SP 1996, 11; OLG Celle, SP 2003, 59; OLG Düsseldorf, SP 2004, 158; LG Bochum, SP 1996, 207; LG München I, SP 1997, 14; OLG Hamburg, 14 U 95/07, NZV 2008, 555; OLG Nürnberg, 5 U 29/08, NZV 2009, 559; OLG München, 10 U 4364/09, r+s 2010, 259.
[9] OLG Zweibrücken, SP 2004, 160; LG Leipzig, SP 2000, 380.
[10] OLG Frankfurt, zfs 1990, 263; KG, zfs 1992, 120.

4. Erwerb eines Neufahrzeugs

 

Rz. 11

Schließlich kann die Neuwertentschädigung nur verlangt werden, wenn der Geschädigte tatsächlich auch sein beschädigtes Fahrzeug veräußert und ein Neufahrzeug erwirbt.[11]

 

Rz. 12

Der Bundesgerichtshof hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 3.11.1981[12] ausgeführt, dass ein Kfz im Allgemeinen lediglich bis zu einer Fahrleistung von 1.000 km als neuwertig bezeichnet werden kann. Diese Auffassung hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 9.6.2009[13] nochmals ausdrücklich bestätigt.

 

Rz. 13

Nur in besonderen Ausnahmefällen kann auch bei einer Laufleistung bis zu 3.000 km eine Abrechnung auf Neuwagenbasis in Betracht kommen. Voraussetzung ist jedoch...

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