Rz. 71

Steht die Regelung zum Versorgungsausgleich einer unterhaltsrechtlichen Berücksichtigung des Versorgungsnachteils nicht entgegen, stellt sich die Frage, wie dieser Nachteil konkret zu bemessen ist.

 

Rz. 72

 

Praxistipp

Zu ermitteln sind dabei die fiktiven Versorgungsanwartschaften der Unterhaltsberechtigten in ihrem – hypothetischen – Lebensverlauf als ledige Erwerbstätige.

Problematisch ist dies dann, wenn dieser hypothetische Lebensverlauf mit einem – fiktiven – beruflichen Aufstieg verbunden gewesen wäre.[144]

 

Rz. 73

Zur Frage der Bemessung der Höhe des unterhaltsrechtlich auszugleichenden Nachteils hat der BGH ausgeführt:[145]

Zitat

Soweit es die Rentenanwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung betrifft, werden die fiktiven Versorgungsanwartschaften in der Regel dadurch zu ermitteln sein, dass die gegebenenfalls gemäß § 287 ZPO zu schätzenden Entgelte, die der berechtigte Ehegatte bei gedachter (vollschichtiger) Erwerbstätigkeit in den Jahren der ehebedingten Aufgabe oder Einschränkung seiner Erwerbstätigkeit hätte erzielen können, in das Verhältnis zum jeweils gegebenen Durchschnittsentgelt aller Versicherten gesetzt und die sich hieraus ergebende Summe an Entgeltpunkten ermittelt wird.[146] Es kann bei einer längeren Aufgabe oder Einschränkung der Erwerbstätigkeit zur Vereinfachung der Berechnung auch erwogen werden, der Berechnung einen durchschnittlichen Erwerb von Entgeltpunkten im Kalenderjahr zugrunde zu legen und diesen Durchschnittswert auf den gesamten Betrachtungszeitraum zu übertragen; diese Methode wird sich allerdings als problematisch erweisen, wenn – wovon das Berufungsgericht auch im vorliegenden Fall ersichtlich ausgegangen ist – die gedachte Erwerbsbiographie des berechtigten Ehegatten mit einem beruflichen Aufstieg einhergegangen wäre. Auch in der kirchlichen Zusatzversorgung hängt die Bestimmung der hypothetischen Versorgungsanrechte von der Höhe der Entgelte ab, wobei noch die Besonderheit besteht, dass für die Versicherungszeiten bis zum Systemwechsel in der Zusatzversorgung zum 31.12.2001 eine fiktive Startgutschrift ermittelt werden müsste.

Jedenfalls muss das Gericht seine Hypothesen über den Erwerb fiktiver Versorgungsanwartschaften und das damit korrespondierende erzielbare Arbeitseinkommen einer nachvollziehbaren Plausibilitätskontrolle unterziehen, etwa durch Anwendung von Erfahrungssätzen im jeweiligen Berufsfeld oder durch die Heranziehung von tariflichen Regelwerken.[147] Dies wäre unter den obwaltenden Umständen schon deshalb mit einem vertretbaren Aufwand möglich gewesen, weil sich die Vergütung der im öffentlichen Dienst beschäftigten Ehefrau aus Tarifverträgen (zuletzt aus den Arbeitsvertragsrichtlinien der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachen [AVR-K]) ergeben hat und die Auswertung dieser Regelwerke dem Gericht auch eine Handreichung für die Beurteilung der Frage gegeben hätte, welche konkreten beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten für die Ehefrau als Krankenschwester bestanden hätten und welcher Verdienst innerhalb des tariflichen Vergütungssystems dann von ihr zu erzielen gewesen wäre.

 

Rz. 74

 

Praxishinweis

Die Kritik des BGH an den fehlenden Feststellungen des OLG darf nicht als Einstieg in ein Amtsermittlungsverfahren missverstanden werden.
Im Unterhaltsverfahren gilt uneingeschränkt der Beibringungsgrundsatz.
Daher kann das Gericht nach den geltenden verfahrensrechtlichen Regelungen der ZPO, die in Unterhaltsverfahren gem. § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG weiterhin anzuwenden sind, nur solche Fakten feststellen, die von den Beteiligten im Rahmen ihres Sachvortrages ins Verfahren eingebracht worden sind.
Die tatsächlichen Grandlagen für die vom Gericht vorzunehmenden Bewertungen müssen also von den Verfahrensbeteiligten substantiiert vorgetragen werden.

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