Rz. 49

Nach § 166 BGB kommt es im rechtsgeschäftlichen Verkehr grds. auf die Person des Bevollmächtigten an, soweit die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung beeinflussen; dies gilt auch für gesetzliche Vertreter[174] und die Organe juristischer Personen.[175] Diese Vorschrift ist grds. nicht auf die Kenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 BGB übertragbar; für den Verjährungsbeginn nach dieser Bestimmung kommt es i.d.R. allein auf die Kenntnis des Verletzten, nicht auf diejenige seines Vertreters an.[176]

§ 166 Abs. 1 BGB ist allerdings der allgemeine Rechtsgedanke entnommen worden, dass derjenige, der – unabhängig von einem Vertretungsverhältnis – einen anderen mit der Erledigung einer bestimmten Angelegenheit in eigener Verantwortung betraut, sich das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen muss ("Wissensvertretung").[177] "Wissensvertreter" ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, als dessen Repräsentant im Rechtsverkehr bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen und weiterzuleiten; eine Bestellung zum rechtsgeschäftlichen Vertreter oder zum Wissensvertreter ist nicht erforderlich, jedoch muss sich der Geschäftsherr seines Repräsentanten im rechtsgeschäftlichen Verkehr wie eines Vertreters bedienen.[178]

 

Rz. 50

Diese "Wissensvertretung" hat die Rechtsprechung auf § 852 Abs. 1 BGB a.F. übertragen;[179] dies gilt auch für § 199 Abs. 1 BGB.[180] Der Geschädigte muss sich die Kenntnis eines Dritten dann im Rahmen dieser Vorschrift zurechnen lassen, wenn er diesen Dritten – unabhängig von einem Vertretungsverhältnis – beauftragt hat, in eigener Verantwortung seine Interessen bzgl. des Schadensersatzanspruchs zu wahren, also insb. diesen Anspruch durchzusetzen; dann hat der Geschädigte diesen Dritten insoweit zu seinem "Wissensvertreter" bestellt.[181] Dies gilt insb. für die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Aufklärung des Sachverhalts eines Schadensvorgangs und/oder zur Geltendmachung eines daraus folgenden Schadensersatzanspruchs.[182] Bei juristischen Personen ist insoweit auf das Wissen des Bediensteten abzustellen, der mit der Betreuung und Verfolgung der Ersatzforderung in eigener Verantwortung betraut worden ist;[183] das gilt entsprechend für den zuständigen Bediensteten der verfügungsbefugten Behörde.[184] Eine Wissensvertretung durch Behörden entfällt.[185] Der Geschädigte muss sich nicht nur eine positive Kenntnis des Wissensvertreters, sondern auch ein missbräuchliches Sichverschließen vor der Kenntnis entgegenhalten lassen.[186] Wird der Sonderverwalter mit der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegen den amtierenden Insolvenzverwalter beauftragt, kommt es auf die Kenntnisse des Sonderverwalters an.[187] Umgekehrt wird die Wissensvertretung allerdings dann nicht der Gesellschaft durch ihren Geschäftsführer vermittelt, wenn dieser selbst der Schuldner des Schadensersatzanspruchs ist.[188]

[174] BGH, 10.10.1962 – VIII ZR 3/62, BGHZ 38, 65, 66 = NJW 1963, 2251.
[175] BGH, NJW 1994, 1150, 1151; BGH, NJW 2000, 1411, 1412 = WM 2000, 1205; BGH, NJW 2001, 359, 360, jeweils zu § 852 Abs. 1 BGB a.F.
[176] BGH, NJW 1968, 988; BGH, NJW 1993, 648, 652, zu § 852 Abs. 1 BGB a.F.
[177] BGH, NJW 1968, 988; BGHZ 83, 293, 296 = NJW 1982, 1585; BGH, NJW 1989, 2323; BGHZ 117, 104, 106 f. = NJW 1992, 1099; BGH, WM 1992, 1742, 1743; BGH, WM 1993, 251, 258 = NJW 1993, 648, 652; BGH, NJW 1997, 1584, 1585; BGH, ZNotP 2004, 355; für den Wissensvertreter einer juristischen Person des öffentlichen Rechts: BGH, NJW 1994, 1150, 1151; BGH, NJW 2000, 1411, 1412 = WM 2000, 1205; für den Wissensvertreter einer juristischen Person des privaten Rechts und einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft: BGH, NJW 2001, 359, 360; Verwalter für WEG: BGH, 23.1.2014 – III ZR 436/12, WM 2014, 900.
[178] BGHZ 117, 104, 106 f. m.w.N. = NJW 1992, 1099; BGH, WM 1992, 1742, 1743; BGH, WM 1993, 251, 258 = NJW 1993, 648, 652; BGH, NJW 1997, 1584, 1585; BGH, ZNotP 2004, 355; vgl. BGH, NJW 1994, 1150, 1151 für den Wissensvertreter einer juristischen Person des öffentlichen Rechts.
[179] BGH, NJW 1968, 988; BGH, VersR 1985, 735; BGH, NJW 1989, 2323; BGH, NJW-RR 1990, 222, 223; BGH, NJW 1993, 648, 652.
[180] Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, § 199 Rn 57 ff.
[181] BGH, NJW 1968, 988; BGH, VersR 1985, 735; BGH, NJW 1989, 2323; BGH, NJW 1993, 648, 652; die gegenseitige Interessenvertretung darf aber auch bei Ehegatten nicht einfach vermutet werden: BGH, 13.12.2012 – III ZR 298/11, WM 2013, 155.
[182] BGH, NJW 1989, 2323; BGHZ 117, 104, 106 f. = NJW 1992, 1099; BGH, WM 1992, 1742, 1743; BGH, WM 1993, 251, 258 = NJW 1993, 648, 652; BGH, NJW 1997, 1584, 1585; BGH, NJW 2001, 885, 886; BGH, WM 2003, 975, 976; BGH, ZNotP 2004, 355; BGH, 25.10.2018 – IX ZR 168/17, DB 2018, 2989.
[183] BGH, NJW 1994, 1150, 1151; BGH, NJW 2000, 1411, 1412 = WM 2000, 1205; BGH, NJW 2001, 359, 360; BGH, 20.10.2011...

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