Rz. 20

Die BRAO hat gerade auch im Bereich der Vertretung erhebliche Änderungen zum 1.8.2022 erfahren.[1] Das Recht der Vertretungsbestellung wurde entbürokratisiert; die Selbst-Bestellung wurde vereinfacht und die Notwendigkeit der Vertretungsbestellung bei Ortsabwesenheit ausgedehnt. Sofern ein Anwalt länger als eine Woche gehindert ist, seinen Beruf auszuüben, muss gem. § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO eine Vertretung bestellt werden. Die Verhinderung der Berufsausübung bedeutet auch, dass ein Anwalt gehindert ist, seiner passiven Nutzungspflicht gem. § 31a Abs. 6 BRAO nachzukommen und z.B. Empfangsbekenntnisse abzugeben oder abzulehnen, § 14 BORA.

 

Rz. 21

Bei Ortsabwesenheit ist eine Vertretungsbestellung erst nach zwei Wochen erforderlich, § 53 Abs. 1 Nr. 2 BRAO. Ortsabwesenheit ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Verhinderung der Berufsausübung; d.h. seine Eingangspost im beA zur Kenntnis nehmen, muss ein Anwalt ohne Vertretungsbestellung immer; ist er hieran länger als eine Woche gehindert (= Verhinderung der Berufsausübung), ist die Vertretungsbestellung bereits ab dann zwingend erforderlich. Der DAV hatte darauf gedrängt, auf die Notwendigkeit der Vertretungsregelung bei längerer Ortsabwesenheit als zwei Wochen zu verzichten, da im Zeitalter der Digitalisierung und moderner Kommunikationsmittel eine solche Regelung nicht erforderlich sei.[2] Der Gesetzgeber wollte hierauf aber im Hinblick auf die Kanzleipflicht (§ 27 BRAO) einen solchen Verzicht nicht, sondern vielmehr, dass Anwälte spätestens nach zwei Wochen in der Kanzlei "nach dem Rechten sehen".[3]

 

Rz. 22

§ 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO regelt die berufsrechtliche Pflicht zur Vertretungsbestellung bei Verhinderung der Berufsausübung und stellt damit nach unserer Auffassung eine "Maximal-Frist" dar. Aus dem Anwaltsvertrag heraus kann sich jedoch selbstverständlich die Pflicht ergeben, bereits vor Ablauf dieser "berufsrechtlichen" Woche eine Vertretung zu bestellen, z.B. wenn eine Tätigkeit in bestimmten Rechtsgebieten erfolgt, wie z.B. dem Vergaberecht oder in Eilverfahren. Die Entscheidung, ab wann eine Vertretung bestellt wird, obliegt daher – innerhalb des Rahmens der Maximalfrist des § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO – dem sachbearbeitenden Anwalt, der sich ggf. schadenersatzpflichtig macht, wenn er nicht schon früher für eine Vertretung sorgt und so z.B. seinen Mandanten ein befristetes Vergleichsangebot nicht erreicht. Eine Verschärfung hat sich dabei nach diesseitiger Auffassung auch durch Einführung des § 193a ZPO (siehe hierzu auch § 15 Rdn 252 ff. in diesem Werk) und insbesondere dessen Abs. 2 zum 1.1.2022 ergeben, da Gerichtsvollzieher elektronische Dokumente elektronisch mit Zustellungsfiktion zustellen können. Anwälte, die mit derartigen Zustellungen rechnen (müssen), sollten den Zeitpunkt, ab wann sie eine Vertretung bestellen, auch im Hinblick auf diese neue Zustellungsform im beA bedenken und festlegen.

 

Rz. 23

Die Vertretung soll grundsätzlich einem anderen Rechtsanwalt übertragen werden, § 53 Abs. 2 S. 1 BRAO, wobei sie aber auch durch Personen erfolgen kann, die die Befähigung zum Richteramt erworben oder mindestens 12 Monate des Vorbereitungsdienstes nach § 5b des Deutschen Richtergesetzes absolviert haben, § 53 Abs. 2 S. 2 BRAO i.V.m. § 7 BRAO.

 

Rz. 24

Erfolgt die Vertretung durch einen anderen Anwalt, soll der Vertretene seine Vertretung selbst bestellen; nur in den Fällen der Vertretung durch eine andere Person als einen Anwalt oder wenn der Vertretene keinen zur Vertretung bereiten Anwalt findet, erfolgt auf Antrag eine RAK-Bestellung, § 53 Abs. 3 BRAO. Eine RAK-Bestellung von Amts wegen erfolgt bei Unterlassen einer erforderlichen Vertretungsbestellung durch den Vertretenen, § 53 Abs. 4 BRAO, sofern auch nach Aufforderung durch die RAK keine eigene Bestellung bzw. Antragstellung erfolgt. Wird ein Rechtsanwalt von Amts wegen als Vertretung bestellt, kann die Vertretung nur aus wichtigem Grund abgelehnt werden, § 53 Abs. 4 S. 3 BRAO. Bis 31.7.2021 musste die Bestellung auch dann durch die RAK erfolgen, wenn die Vertretung einem anderen Kammer-Bezirk angehörte. Das wurde zum 1.8.2021 gestrichen.

 

Rz. 25

Eine Bestellung kann jederzeit widerrufen werden, § 53 Abs. 5 BRAO.

 

Rz. 26

Gem. § 54 Abs. 1 BRAO stehen der Vertretung die anwaltlichen Befugnisse des Rechtsanwalts zu, den sie vertritt, wobei sie in eigener Verantwortung, jedoch im Interesse, für Rechnung und auf Kosten des Vertretenen tätig wird. Die §§ 666, 667 und 670 BGB gelten gem. § 54 Abs. 1 S. 3 BRAO entsprechend.

 

Rz. 27

 

Hinweis

Für Syndikusrechtsanwälte gelten die §§ 5155 BRAO zwar nicht, siehe § 46c Abs. 3 BRAO. § 46c Abs. 6 BRAO sieht aber die Erforderlichkeit der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten gegenüber der RAK gem. § 30 BRAO vor, wenn länger als eine Woche eine Verhinderung der Berufsausübung besteht. Auch Zustellungsbevollmächtigten muss das Recht zur Einsichtnahme in das beA sowie das Recht zur Abgabe von Empfangsbekenntnissen eingeräumt werden. An den Zustellungsbevollmächtigten kann...

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