Rz. 70

Das Berufungsurteil hielt den Angriffen der Revision stand.

Die Revision war nach Zulassung durch das Berufungsgericht wirksam auf den Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres immateriellen Schadens als rechtlich selbstständigen Teil des Gesamtstreitstoffes beschränkt, über den gesondert hätte entschieden werden können.

 

Rz. 71

Frei von Rechtsfehlern war die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld mit Urteil des Landgerichts R. vom 28.1.1993 und des Oberlandesgerichts S. vom 13.7.1993 die Klägerin nicht daran hinderte, für damals nicht vorhersehbare Spätfolgen des Unfalls ein weiteres Schmerzensgeld zu verlangen.

 

Rz. 72

Verlangt ein Kläger für erlittene Körperverletzungen uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den zuerkannten Betrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (ständige Rechtsprechung, vgl. Senat, Urt. v. 11.6.1963 – VI ZR 135/62, VersR 1963, 1048, 1049; v. 8.7.1980 – VI ZR 72/79, VersR 1980, 975 f.; v. 24.5.1988 – VI ZR 326/87, VersR 1988, 929 f.; v. 7.2.1995 – VI ZR 201/94, VersR 1995, 471, 472; v. 20.3.2001 – VI ZR 325/99, VersR 2001, 876; v. 20.1.2004 – VI ZR 70/03, VersR 2004, 1334, 1335; BGH, Urt. v. 4.12.1975 – III ZR 41/74, VersR 1976, 440, 441). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (Senatsurt. v. 6.12.1960 – VI ZR 73/60, VersR 1961, 164 f.; v. 20.3.2001 – VI ZR 325/99, a.a.O.; v. 20.1.2004 – VI ZR 70/03, a.a.O.). Solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von der vom Gericht ausgesprochenen Rechtsfolge nicht umfasst und können deshalb Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld sein (vgl. Senat, Urt. v. 11.6.1963 – VI ZR 135/62; v. 8.7.1980 – VI ZR 72/79; v. 24.5.1988 – VI ZR 326/87; v. 20.3.2001 – VI ZR 325/99; vom 20.1.2004 – VI ZR 70/03; BGH, Urt. v. 4.12.1975 – III ZR 41/74, alle a.a.O.; BGH(GS)Z 18, 149, 167).

 

Rz. 73

Ob Verletzungsfolgen im Zeitpunkt der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes erkennbar waren, beurteilt sich nicht nach der subjektiven Sicht der Parteien oder der Vollständigkeit der Erfassung des Streitstoffes durch das Gericht, sondern nach objektiven Gesichtspunkten, das heißt nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen (vgl. Senat, Urt. v. 24.5.1988 – VI ZR 326/87 und v. 7.2.1995 – VI ZR 201/94, beide a.a.O.). Maßgebend ist, ob sich bereits in jenem Verfahren eine Verletzungsfolge als derart nahe liegend darstellte, dass sie schon damals bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnte (vgl. Senatsurt. v. 8.7.1980 – VI ZR 72/79; v. 24.5.1988 – VI ZR 326/87; v. 7.2.1995 – VI ZR 201/94, alle a.a.O.).

 

Rz. 74

Nach diesen Grundsätzen hatte das Berufungsgericht im Streitfall zu Recht den Eintritt nicht vorhersehbarer Spätschäden bei der Klägerin bejaht mit der Folge, dass die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld im Vorprozess die nunmehr eingeklagten Spätschäden nicht umfasste.

 

Rz. 75

Das Berufungsgericht führte hierzu aus, den Entscheidungen von 1993 hätten ärztliche Beurteilungen und vor allem ein vom Landgericht R. eingeholtes Gutachten des Prof. F. zugrunde gelegen, in denen die aufgrund eines Nervengefäßabrisses am rechten Arm aufgetretene Armplexuslähmung und der Beinaheverlust der Funktion des rechten Armes sowie der rechten Hand als wesentliche Unfallverletzungen hervorgehoben worden seien. Demgegenüber waren nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die bei der Klägerin durch neue physiologische Entwicklungen verursachten Spätfolgen des Nervenwurzelabrisses im Bereich des Rückenmarks erheblich schwerwiegender. Ursache seien mit Liquorflüssigkeit gefüllte Zysten bzw. Wurzeltaschen, die sich als Folge der Nervenwurzelausrisse nachträglich gebildet hätten. Die Zysten schafften eine Verbindung des Myelons (Rückenmark) zur Pleurakuppel. Bei Auslenkungen der Pleurakuppel insbesondere beim Husten, Niesen oder sogar bei tiefem Ein- und Ausatmen könne es zu einer Reizung und auch Verziehung des Myelons mit attackeartigen Schmerzzuständen kommen, die ab Ende 1998 bei der Klägerin zur völligen Erwerbsunfähigkeit geführt hätten. Eine solche Spätfolge sei 1993 für einen Sachkundigen nicht vorhersehbar gewesen. Bei gezieltem Nachforschen habe der gerichtliche Sachverständige zwar Literaturstellen aus den Jahren 1973, 1985, 1990 gefunden, die auf eine Myelopathi...

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