Rz. 32

BGH, Urt. v. 17.10.2017 – VI ZR 423/16, VersR 2018, 120

Zitat

§ 242 BGB, § 422 Abs. 1 S. 1 BGB, § 426 BGB, § 430 BGB, § 823 Abs. 1 BGB

1. – 3. Siehe oben § 3 I.

4. Jedenfalls in Fällen, in denen die Verletzung eines durch § 823 Abs. 1 BGB oder § 7 Abs. 1 StVG geschützten Rechtsguts und darüber hinaus ein daraus resultierender Vermögensschaden bereits eingetreten sind, ist die Begründetheit einer Klage, die auf die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden gerichtet ist, nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Schäden abhängig.

I. Der Fall

 

Rz. 33

Die Klägerin nahm die Beklagte auf Ersatz von Verdienstausfall aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 26.6.2010 in Anspruch. An diesem Tag war die Klägerin als Beifahrerin ihres Ehemanns auf einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Motorrad unterwegs. Das Motorrad wurde von einem Pkw erfasst, der bei der Streithelferin haftpflichtversichert war. Die Klägerin wurde schwer verletzt. Im Verhältnis zwischen dem Ehemann der Klägerin einerseits und dem Fahrer des Pkw sowie der Streithelferin andererseits steht fest, dass die beiden letzteren für den Unfall dem Grund nach voll einstandspflichtig sind.

 

Rz. 34

Die am 21.1.1981 geborene Klägerin, die vor dem Unfall erwerbstätig war, war seit dem Unfall dauerhaft erwerbsunfähig. Sie erhielt deshalb von dem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsminderung.

 

Rz. 35

Die Klägerin hat von der Beklagten Ersatz des Verdienstausfalls für die Jahre 2010 bis 2013 verlangt, den sie nach Anrechnung von Vorschüssen, die die Streithelferin auf den Verdienstausfallschaden der Klägerin erbracht hat, auf 91.202,73 EUR beziffert hat. Außerdem hat sie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr jeden weiteren Verdienstausfall aus Anlass des Unfallereignisses vom 26.6.2010 zu erstatten, einschließlich des Rentenausfalls nach Erreichen der Altersgrenze.

 

Rz. 36

Das Landgericht hat mit Teilgrund- und Teilurteil festgestellt, dass der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Verdienstausfalls für die Jahre 2010 bis 2013 dem Grunde nach gerechtfertigt ist und dass die Beklagte verpflichtet ist, jeden weiteren Verdienstausfall aus Anlass des Unfallereignisses zu ersetzen. Auf die Berufungen der Beklagten und der Streithelferin hat das Oberlandesgericht das Urteil im Wesentlichen bestätigt, klargestellt, dass die festgestellte Ersatzpflicht auch den Rentenausfall erfasst und – nur insoweit den Rechtsmitteln stattgebend – weiter festgestellt, dass der von der Beklagten zu erstattende Gesamtschaden der Klägerin aus dem Unfallereignis auf einen Höchstbetrag von 5 Mio. EUR beschränkt ist. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrte die Beklagte vollständige, die Streithelferin teilweise Klageabweisung.

II. Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 37

Die Revisionen waren teilweise begründet. (Siehe oben § 3 Rdn 107 ff.).

 

Rz. 38

Sollte es zu einem verbleibenden Rentenkürzungsschaden kommen, für den die Klägerin keine kongruenten Leistungen eines Sozialversicherungsträgers zu beanspruchen hat, könnte sie diesen von der Beklagten erstattet verlangen. Die auf Ersatz des Rentenausfalls gerichtete Feststellungsklage war in diesem Umfang trotz des Umstandes begründet, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung ungewiss war, ob es nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen zu einem solchen Rentenkürzungsschaden kommen kann, und sich insoweit derzeit möglicherweise nicht einmal eine gewisse Wahrscheinlichkeit feststellen lässt.

 

Rz. 39

Begründet ist ein Feststellungsantrag, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann. Ob darüber hinaus im Rahmen der Begründetheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist, hat der Senat bislang offen gelassen (Senatsurt. v. 9.1.2007 – VI ZR 133/06, VersR 2007, 708, 709 m.w.N.; v. 16.1.2001 – VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431, 1432). Der Senat hat aber bereits Zweifel an der Erforderlichkeit eines solchen zusätzlichen Begründetheitselements jedenfalls für den Fall geäußert, dass Gegenstand der Feststellungsklage ein befürchteter Folgeschaden aus der Verletzung eines deliktsrechtlich geschützten absoluten Rechtsguts ist (Senatsurt. v. 16.1.2001 – VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431, 1432; vgl. auch Senatsurt. v. 15.7.1997 – VI ZR 184/96, VersR 1997, 1508, 1509 für mögliche – Spätfolgen nach schweren Verletzungen). Jedenfalls in Fällen, in denen die Verletzung eines (durch § 823 Abs. 1 BGB oder durch § 7 Abs. 1 StVG geschützten) Rechtsguts und darüber hinaus ein daraus resultierender Vermögensschaden bereits eingetreten sind, gibt es keinen Grund, die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden von der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts abhängig zu machen. Materiell-rechtlich wird es den Anspruch auf Ersatz dieser Schäden ohnehin nicht geben, solange diese nicht eingetreten sind; von der Wahrscheinlichkeit des Sc...

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