Rz. 146

Auch liest man zunehmend in der außergerichtlichen Korrespondenz die von einigen Versicherern und oft auch in Gutachten einer Sachverständigenorganisation geäußerte Auffassung, im Falle der nicht konkret durchgeführten Reparatur seien nur die mittleren Stundenverrechnungssätze zu ersetzen. Diese werden unter Zugrundelegung der Preise aller Reparaturwerkstätten, also nicht nur der (Marken-)"Vertragswerkstätten", sondern auch reiner Karosseriewerkstätten, Tankstellen bis hin zu "Hinterhofwerkstätten" im (sehr großen) Umkreis des Wohnortes des Geschädigten ermittelt. Diese Durchschnittspreise liegen erheblich unter den Stundenverrechnungssätzen der Marken-Fachwerkstätten.

 

Rz. 147

Es ist eindeutig so, dass der Geschädigte nach der Rechtsprechung des BGH auch bei fiktiver Abrechnung grundsätzlich die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt seiner Abrechnung zugrunde legen darf (BGH v. 29.4.2003, VersR 2003, 920 = zfs 2003, 405 = NZV 2003, 372 – "Porsche"-Urteil).

 

Rz. 148

Allerdings hat der BGH mit seinen neueren Entscheidungen (grundlegend: BGH v. 20.10.2009 – VI ZR 53/09 – VersR 2010, 225 = zfs 2010, 143; bestätigend: BGH v. 23.2.2010 – VI ZR 91/09 – VersR 2010, 923 = zfs 2010, 494; BGH v. 22.6.2010 – VI ZR 337/09 – VersR 2010, 1097 = zfs 2010, 497; BGH v. 22.6.2010 – VI ZR 302/08 – VersR 2010, 1096 = NZV 2010, 553; BGH v. 13.7.2010 – VI ZR 259/09 – zfs 2010, 621 = NZV 2010, 553; BGH v. 28.4.2015 – VI ZR 267/14 – zfs 2015, 621 = DAR 2015, 385; BGH v. 7.2.2017 – VI ZR 182/16 – VersR 2017, 504 = zfs 2017, 321; BGH v. 25.9.2018 – VI ZR 65/18 – VersR 2019, 120) zwischenzeitlich im Wesentlichen die bisher in der Instanzenrechtsprechung höchst streitig beurteilte Frage geklärt, wann der Geschädigte ausnahmsweise bei der fiktiven Abrechnung auf günstigere Stundenverrechnungssätze einer (nicht markengebundenen) regionalen Fachwerkstatt verwiesen werden darf. Danach gilt ein dreistufiges Prüfungsschema (Schneider, zfs 2010, 8, 10):

 

Rz. 149

1. Der Geschädigte hat gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB durch Vorlage eines entsprechenden Sachverständigengutachtens die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt auf dem allgemeinen regionalen Markt darzulegen und ggf. zu beweisen.

 

Folge

Grundsätzlich Anspruch auf Erstattung der Stundenverrechnungssätze der markengebundenen Fachwerkstatt.

 

Rz. 150

2. Der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer kann den Geschädigten im Rahmen der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB bei einem Alter des Fahrzeugs zum Unfallzeitpunkt von über drei Jahren konkret auf eine günstigere, ohne weiteres zugängliche "freie Fachwerkstatt" verweisen. Maßgeblich sind hierbei die (markt-)üblichen Preise der Werkstätten, nicht Sonderkonditionen von Vertragswerkstätten des Haftpflichtversicherers. Der Schädiger hat darzulegen und ggf. zu beweisen, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspricht.

 

Folge

Bei Fahrzeugen mit einem Alter von bis zu drei Jahren Verweisung grundsätzlich unzumutbar, d.h. trotz Verweisung Erstattung der Stundenverrechnungssätze der markengebundenen Fachwerkstatt.
Bei Fahrzeugen mit einem Alter von über drei Jahren Verweisung grundsätzlich zumutbar, d.h. lediglich Erstattung der Stundenverrechnungssätze der konkret benannten "freien Fachwerkstatt".
 

Rz. 151

3. Der Geschädigte kann (bei Fahrzeugen mit einem Alter von über drei Jahren) konkrete Umstände darlegen, welche zu einer Unzumutbarkeit der Reparatur in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt führen (sog. sekundäre Darlegungslast des Geschädigten bei verbleibender Beweislast des Schädigers hinsichtlich der Zumutbarkeit im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB), insbesondere

das Fahrzeug wurde stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt gewartet bzw. "scheckheftgepflegt" oder ggf. nach einem Unfall repariert,
der Geschädigte weist durch Vorlage der Reparaturrechnung im Rahmen der konkreten Schadensabrechnung sein besonderes Interesse an einer Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt nach.
 

Folge

Erstattung der Stundenverrechnungssätze der markengebundenen Fachwerkstatt wegen Unzumutbarkeit der Verweisung im Einzelfall.

 

Rz. 152

Wie der BGH inzwischen klargestellt hat, kann die Verweisung auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit durch den Schädiger auch erstmalig im Prozess erfolgen (BGH v. 14.5.2013 – VI ZR 320/12 – zfs 2013, 446), selbst dann noch, wenn der Geschädigte das Fahrzeug bereits in Eigenregie repariert hat, solange er fiktiv abrechnet (BGH v. 15.7.2014 – VI ZR 313/13 – r+s 2014, 476).

 

Rz. 153

Dies ist für den Geschädigten besonders unbefriedigend. Prozessual dürfte sich der Geschädigte bei einer solchen erst im Prozess erfolgten Verweisung mit einer teilweisen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache hinsichtlich der aufgrund der Verweisung niedrigeren Reparaturkosten behelfen können (so auch LG Bonn r+s 2016, 641; AG Offenbach r+s 2016, 643). Denn nach der vorgenannten Rechtsprec...

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