1. Bei anhängigem Straf- und Bußgeldverfahren

 

Rz. 95

Der Vorrang des Straf- und Bußgeldverfahrens gegenüber dem verwaltungsrechtlichen Verfahren ist geregelt in § 3 Abs. 3 und 4 StVG.

 

Rz. 96

Während der Anhängigkeit eines Strafverfahrens, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB in Betracht kommt, darf die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, in dem Entziehungsverfahren gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 StVG nicht berücksichtigen. Eine Ausnahme gilt für Dienstfahrerlaubnisse gemäß § 3 Abs. 2 S. 2 StVG.

 

Rz. 97

Andererseits hindert die Anhängigkeit eines Bußgeldverfahrens gegen den Inhaber einer Fahrerlaubnis die Fahrerlaubnisbehörde nicht, den Gegenstand des Bußgeldverfahrens im Verwaltungsverfahren zu berücksichtigen. Dies folgt daraus, dass im Ordnungswidrigkeitenverfahren keine Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis zu treffen ist. Eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 2 S. 1 StVG auf das Bußgeldverfahren wird daher von der ganz h.M. abgelehnt.[75]

[75] Z.B. VGH Mannheim zfs 2007, 713; OVG Naumburg Blutalkohol 49 (2012), 327; a.A. Fromm, SVR 2008, 196.

2. Bedeutung der Entscheidungen im Straf- und OWi-Verfahren

 

Rz. 98

Die Möglichkeit, Strafentscheidungen im Entziehungsverfahren der Verwaltungsbehörde zu berücksichtigen, richtet sich nach § 3 Abs. 4 S. 1 und S. 2 Hs. 1 StVG. Hiernach darf die Verwaltungsbehörde in dem Entziehungsverfahren von einem Sachverhalt, der Gegenstand einer strafgerichtlichen Entscheidung gegen den Inhaber einer Fahrerlaubnis gewesen ist, zum Nachteil des Inhabers der Fahrerlaubnis in bestimmten Punkten nicht abweichen. Dies gilt für den Inhalt eines Urteils, eines Strafbefehls oder eines Beschlusses, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wurde.

 

Rz. 99

Aus der vorstehend aufgeführten Regelung folgt, dass die Fahrerlaubnisbehörde weder berechtigt noch verpflichtet ist, in eine erneute Prüfung einzutreten, ob der Sachverhalt sich wirklich so ereignet hat, wie er in der strafgerichtlichen Entscheidung festgestellt ist. Sie darf insoweit keine Zeugen oder Sachverständigen vernehmen oder anhören.

 

Rz. 100

Andererseits darf und muss die Fahrerlaubnisbehörde jedoch relevante Sachverhalte, die in dem strafgerichtlichen Verfahren nicht festgestellt worden sind, ihrerseits aufklären.[76] Ebenso ist sie wegen des Grundsatzes des gesetzmäßigen Verwaltungshandelns verpflichtet, erkennbare Fehler der Straf- oder Bußgeldentscheidung zu korrigieren: Dies gilt etwa bei einer erkennbar falschen Anwendung von BAK-Rückrechnungsmethoden durch das Strafgericht. Relevant werden kann dies bei der Frage, ob bei Tatbegehung ein BAK-Wert über 1,6 Promille vorgelegen hat (was zu einer MPU im Wiedererteilungsverfahren führt) oder eben nicht.

 

Rz. 101

Auch ist die Verwaltungsbehörde bei ihrer Würdigung des vom Strafgericht festgestellten Sachverhaltes an die Beurteilung der Schuldfrage gebunden, also an die Feststellung, ob die Tat vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Voraussetzung hierbei ist, dass der strafgerichtlichen Entscheidung eine Beurteilung mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen ist.[77]

 

Rz. 102

Problematisch kann die Frage der Beurteilung der Kraftfahrteignung in der strafgerichtlichen Entscheidung sein. In der Praxis sind insoweit häufig allgemeine Formulierungen entsprechend der gesetzlichen Vermutung zur Ungeeignetheit enthalten. Auch insoweit ist eine Bindungswirkung nur gegeben, wenn den Gründen der strafgerichtlichen Entscheidung Anhaltspunkte zur Frage der Kraftfahrteignung zu entnehmen sind.[78]

[76] Vgl. hierzu Bode/Winkler, § 13 Rn 23.
[77] Hentschel/König/Dauer, § 3 StVG Rn 57.
[78] BVerwG NZV 1988, 238; VGH Mannheim SVR 2010, 235; Hentschel/König/Dauer, § 3 StVG Rn 58 ff.

3. Beachtung der Sperrfrist

 

Rz. 103

Gemäß § 69a StGB ist die Fahrerlaubnisbehörde gehindert, eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen vor Ablauf der vom Strafgericht festgesetzten Sperrfrist. Eine Ausnahme gilt dann, wenn das Strafgericht von der Sperrfrist bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen gemäß § 69a Abs. 2 StGB ausgenommen hat.

 

Rz. 104

Hat das Strafgericht jedoch gemäß § 69a Abs. 7 StGB die Sperrfrist abgekürzt oder vorzeitig aufgehoben, entfällt die Bindung.[79]

 

Rz. 105

Ist die in der strafgerichtlichen Entscheidung festgestellte Sperrfrist abgelaufen, so ist die Fahrerlaubnisbehörde berechtigt und verpflichtet, in eigener Verantwortung zu prüfen und zu entscheiden, ob nunmehr die Voraussetzungen für die Fahrerlaubnis wieder gegeben sind oder trotz strafgerichtlicher Entscheidung zum Sperrfristende etwa weiterhin Ungeeignetheit besteht.

[79] Vgl. Buschbell/Schäpe, MAH Straßenverkehrsrecht, § 16 Rn 53 ff.

4. Beachtlichkeit von Bußgeldentscheidungen

 

Rz. 106

Entscheidungen einer Bußgeldbehörde können nur in sehr eingeschränktem Umfang eine Bindung der Fahrerlaubnisbehörde bewirken. Dies folgt daraus, dass im Ordnungswidrigkeitenverfahren weder über die Entziehung der Fahrerlaubnis noch über die Festsetzung einer Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis entschieden wird. Gemäß § 3 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 StVG kann die Fahrerlaubnisbehörde vom Inhalt einer Bußgeldentscheidung zum Nachteil des Betroffenen insoweit nicht abweichen, ...

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