A. Anspruch auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe

 

Rz. 1

Junge Menschen und Personensorgeberechtigte haben gem. § 8 SGB I ein soziales Recht, Leistungen der öffentlichen Jugendhilfe in Anspruch zu nehmen. Sie sollen die Entwicklung junger Menschen fördern und die Erziehung in der Familie unterstützen und ergänzen.

 

Rz. 2

§ 27 SGB I ist die Einweisungsvorschrift der Kinder- und Jugendhilfe und zählt die Leistungen auf, mit denen das Ziel erreicht werden soll:

Angebote der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Jugendschutzes,
Angebote zur Förderung der Erziehung in der Familie,
Angebote zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege,
Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche sowie Hilfe für junge Volljährige.
 

Rz. 3

Zu den Leistungsberechtigten des Jugendhilferechts des SGB VIII gehören gem. § 7 Nr. 1–4 SGB VIII

Kinder,
Jugendliche,
junge Volljährige und
junge Menschen zwischen 14 und 27 Jahren.
 

Rz. 4

Das SGB VIII kennt – anders als § 2 SGB XII – keine umfassende Nachrangklausel ("Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält."). Es gibt auch kein Prinzip des Förderns und Forderns wie in § 2 SGB II.

 

Rz. 5

Der Erziehungsanspruch als solcher ist nicht an finanzielle Maßgaben gebunden und deshalb kann der Leistungsträger die Erbringung von z.B. Erziehungshilfe nicht von ausgaben- und/oder vermögenswirksamen Zusagen und Erklärungen des Hilfebedürftigen und/oder seiner Eltern abhängig machen. Es kommt vielmehr nur eine Kostenbeteiligung aus Einkommen und Vermögen in Betracht,[1] die nachträglich erfolgt.

[1] BVerwG v. 26.10.1989 – Az.: 5 C 34.86 Rn 10, NJW 1990, 1309.

B. Nachranggrundsatz und "Rückgriff" des Sozialleistungsträgers

 

Rz. 6

Es ist ein Fall der unmittelbaren Anwendung des Nachranggrundsatzes gegenüber der Wiederherstellung des Nachranggrundsatzes, wenn Einkommen und Vermögen der einsatzpflichtigen Personen zunächst geprüft werden und dann erst eine Leistungsentscheidung getroffen wird. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz – heute SGB VIII – ist aber primär ein Hilfegesetz, kein Kostengesetz.[2] Deshalb werden zwar Einkommen und Vermögen berücksichtigt, rechtstechnisch wird der Nachrang der Leistung aber in unterschiedlichen Formen bewerkstelligt.

 

Rz. 7

Zunächst ist hierzu § 10 SGB VIII[3] einschlägig, der u.a. Vorrang und Nachrang der subsidiären Leistungsgesetze untereinander regelt.

 

Rz. 8

Weiterhin sind gem. § 10 SGB VIII Leistungen aus Verpflichtungen Dritter vorrangig (Nachrang der Jugendhilfe gegenüber Verpflichtungen Dritter). Mit "Verpflichtungen anderer" sind vorrangig Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen gemeint. Mit "Verpflichtungen anderer" sind im Übrigen Verpflichtungen gegenüber dem Kind, dem Jugendlichen, deren Eltern oder dem jungen Volljährigen gemeint. Unterhaltspflichtige Personen werden nach Maßgabe der §§ 90–97b SGB VIII an den Kosten für Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach dem SGB VIII beteiligt.

Freiwillige Leistungen ohne Rechtsgrund fallen nicht unter diese Vorschrift.

 

Rz. 9

Gegenüber den sonstigen eigenen Mitteln der jungen Menschen und ihren Eltern gibt es im SGB VIII sodann einen begrenzten Nachrang, der in der Regel nicht durch die Anrechnung eigener Mittel auf den Bedarf realisiert wird, sondern durch einen pauschalierten Kostenbeitrag,[4] also eine nachträgliche Berücksichtigung der Nachrangigkeit.

 

Rz. 10

Schon nach dem JWG hat das BVerwG den Grundsatz entwickelt, dass bei der Hilfe zur Erziehung und bei Maßnahmen der öffentlichen Erziehung der optimale Erziehungserfolg Vorrang gegenüber den Möglichkeiten der Kostenbeteiligung haben muss, wenn ansonsten der Erziehungserfolg gefährdet würde.[5] Dieser Grundsatz ist heute in § 92 Abs. 5 SGB VIII[6] normiert:

 

Von der Heranziehung soll im Einzelfall ganz oder teilweise abgesehen werden, wenn sonst Ziel und Zweck der Leistung gefährdet würden oder sich aus der Heranziehung eine besondere Härte ergäbe.

Er gibt dem Erziehungserfolg den Vorrang vor dem Mitteleinsatz der Einsatzpflichtigen. Von einem Regress- bzw. Rückgriffsinstrumentarium des SGB VIII, das spiegelbildlich zum Leistungsrecht ist, kann man daher nicht sprechen.

[2] Schellhorn/Wienand, Das Kinder- und Jugendhilfegesetz, KJHG, Kommentar, 1991, § 90 Rn 1.
[3] § 10 wird ab 1.1.2024 durch das Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12.12.2019, BGBl 2019 I, 2652 durch Hinzufügung von Abs. 5 geändert und dann ab 1.1.2028 BVerwG v. 26.10.1989 – Az.: 5 C 34.86 Rn 10, NJW 1990, 1309 durch das Gesetz zu Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz) vom 3.6.2021, BGBl 2021 I, 1444, durch einen neuen Abs. 4 und 5.
[4] Vgl. dazu ausführlich: Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter, Gemeinsame Empfehlungen zur Kostenbeteiligung nach dem SGB VIII, Heranziehung zu den Kosten nach §§ 91 ff. SGB VIII, 4. neubearbeitete Fassung Juni ...

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