Rz. 28

Die juristische Praxis ist auf die Bedeutung erbrechtlicher – und damit auch schenkungsrechtlicher – Sachverhalte im SGB VIII erst durch eine Entscheidung des BVerwG[18] in einem Fall aufmerksam geworden, bei dem die Betroffene seit ihrem fünften Lebensjahr 1997 in einer Pflegefamilie lebte und Jugendhilfeleistungen in Vollzeitpflege bzw. als Heimerziehung erhielt. 2006 – also im Leistungsbezug – erbte die Klägerin als Alleinerbin mehrere Hausgrundstücke. Bis zur Vollendung ihres 21. Lebensjahres war Testamentsvollstreckung in Form der Dauervollstreckung angeordnet worden, die im Falle eines begründeten Bedürfnisses – etwa einer noch fortdauernden Ausbildung – maximal bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres fortgesetzt werden sollte. Die Hilfen endeten im April 2012 mit dem 20. Lebensjahr der Betroffenen. Im November 2012 zog der Jugendhilfeträger die Betroffene zu den Kosten der jugendhilferechtlichen Maßnahmen durch Kostenbeitragsbescheid in Höhe von rd. 98.000 EUR heran.

In der Zeit ihrer Minderjährigkeit kam ein Einsatz ihres Vermögens von Gesetzes wegen nicht in Betracht. Das war mit Eintritt ihrer Volljährigkeit anders. In dem Rechtsstreit ging es nun darum, ob die mit Dauertestamentsvollstreckung belastete Erbschaft verwertbares Vermögen der jugendlichen Hilfeempfängerin darstellte. Dabei spielte eine Rolle, dass Vermögen, über das der Kostenbeitragspflichtige erst nach dem Ende des Bewilligungszeitraums verfügen darf und kann, nur ausnahmsweise verwertbares Vermögen i.S.d. § 90 Abs. 1 SGB XII darstellt. Voraussetzung dafür ist, dass der Zeitpunkt des Eintritts der Verwertbarkeit konkret feststeht und der Zeitraum bis zum Eintritt der Verwertbarkeit in einem angemessenen zeitlichen Verhältnis zum Bewilligungszeitraum steht. Das verneinte das BVerwG.[19]

 

Rz. 29

Solche Fälle waren bis kurz vor Drucklegung in der Praxis keine Ausnahmen.

Pflichtteilsansprüche,[20]
Ansprüche aus Erbschaften,[21]
der als Pflichtteil "vererbte" Erbteil,[22]
Schenkungsrückforderungsansprüche, z.B. im Zusammenhang mit einem schenkungshalber vollzogenen Verzicht nach §§ 2085, 528 BGB[23]

tauchten in der Rechtsprechung zum Kostenbeitragsrecht des SGB VIII zunehmend häufiger auf.

 

Rz. 30

Das SGB VIII wurde durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG[24] aber mit Wirkung zum 10.6.2021 grundlegend reformiert. Die entscheidende Reform besteht in der Umgestaltung des SGB VII zu einem Leistungssystem, das eine individuelle, ganzheitliche Förderung aller Kinder und Jugendlichen ermöglicht, ohne dabei an die Kategorisierung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung, ohne Behinderung oder die Form der Beeinträchtigung anzuknüpfen. Es wird damit für alle Kinder- und Jugendlichen zuständig.

Gleichzeitig hat sich mit dieser Reform aber auch die Personengruppe derjenigen, die aus eigenem Vermögen in Anspruch genommen werden kann, schlagartig verringert. Die Neuregelung sieht von der Kostenheranziehung junger Volljähriger aus dem Vermögen gänzlich ab. Es verbleiben nur noch die volljährigen Leistungsberechtigten nach § 19 SGB VIII.

Darüber hinaus hat sich die Inanspruchnahme von Volljährigen aus eigenem Einkommen erheblich verringert.

Damit verlieren die oben aufgeführten Fälle an praktischer Bedeutung und es wird von der ursprünglich detaillierten Einzeldarstellung abgesehen. Entscheidend bleibt nur noch die Frage, wie Einkommen und Vermögen voneinander abgegrenzt werden und ob sich vergleichbare Probleme wie bei der modifizierten Zuflusstheorie im SGB XII ergeben.

[20] VG Braunschweig v. 21.11.2002 – Az.: 3 A 193/01, juris Rn 29 f.
[21] VG Aachen v. 27.9.2013 – Az.: 2 K 81/11, juris Rn 28.
[22] VG Ansbach 2.7.2009 – Az.: AN 14 K 07.00609, juris Rn 50.
[23] VG Braunschweig v. 21.11.2002 – Az.: 3 A 193/01, juris Rn 31.
[24] Gesetz zu Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz) vom 3.6.2021, BGBl 2021 I, 1444, in Kraft getreten am 10.6.2021 mit einzelnen Ausnahmen bis hin zum 1.1.2028.

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