Rz. 61

Unter den verschiedenen bilateralen Abkommen, welche für die Bundesrepublik auf erbrechtlichem Gebiet zu beachten sind, enthält vor allem das Deutsch-Türkische Nachlassabkommen zuständigkeitsrechtliche Sonderregeln.[57] Diese sind auch nach Inkrafttreten der EuErbVO weiterhin gültig und gehen jener gemäß Art. 75 Abs. 1 EuErbVO innerhalb ihres Anwendungsbereichs vor. Allerdings ist der persönliche und räumliche Anwendungsbereich des Nachlassabkommens bis heute sehr umstritten.[58] Nach enger Auffassung gilt es nur für ausschließlich deutsche oder ausschließlich türkische Staatsangehörige, und nur soweit diese Nachlass im jeweils anderen Staat hinterlassen. Teilweise wird auch seine Anwendbarkeit auf deutsch-türkische Doppelstaater, Doppelstaater mit drittstaatlicher Staatsangehörigkeit sowie auf in Drittstaaten belegenen Nachlass befürwortet. Soweit man den Anwendungsbereich des Nachlassabkommens nicht als eröffnet ansieht, ist die internationale Zuständigkeit weiterhin nach der EuErbVO zu bestimmen.

 

Rz. 62

§ 15 des Nachlassabkommens differenziert zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlass. Für Ersteren sind die Gerichte im Heimatstaat des Erblassers ausschließlich zuständig, für Letzteren die Gerichte am Belegenheitsort. Die gleiche Differenzierung findet sich auch bei den kollisionsrechtlichen Regelungen des Nachlassabkommens, so dass es wie auch unter der EuErbVO zu einem Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht kommt, allerdings hergestellt durch andere Anknüpfungspunkte.

 

Rz. 63

Die Zuständigkeitsregelungen sind abschließend, eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung oder auch nur eine Zuständigkeitsbegründung durch rügeloses Einlassen kennt das Abkommen nicht.[59] Die Regelung gilt nur für streitige Verfahren; zu nichtstreitigen Verfahren trifft das Abkommen keine Zuständigkeitsregeln, es bleibt aus deutscher Sicht bei der Anwendbarkeit der EuErbVO.

 

Rz. 64

Im Einzelnen gilt nun Folgendes: Stirbt ein türkischer Staatsangehöriger in Deutschland, so sind nach dem Nachlassübereinkommen für seinen in Deutschland belegenen beweglichen Nachlass die türkischen Gerichte weiterhin zuständig. Dies kann bei Türken, die ihr ganzes Leben in Deutschland gelebt haben, unangemessen sein; insoweit wird das Nachlassabkommen als nicht zeitgemäß angesehen.[60] Für das in Deutschland belegene unbewegliche Vermögen sind die deutschen Gerichte zuständig. Für den in der Türkei belegenen beweglichen und unbeweglichen Nachlass eines Türken ist das Abkommen sachlich nicht einschlägig,[61] deutsche Gerichte können hier nach Art. 4 ff. EuErbVO zuständig sein. Für einen in der Türkei verstorbenen Deutschen gilt dasselbe sinngemäß. Hinterlässt ein Verstorbener Vermögen in einem dritten Staat, so ist auch hierfür nach vorzugswürdiger Ansicht nicht das Nachlassabkommen, sondern die EuErbVO einschlägig.[62]

[57] Siehe aber auch Art. 26 des Deutsch-Sowjetischen Konsularvertrages vom 25.4.1958 (vgl. BGBl II 1959 S. 233), der sich zur Zuständigkeit für die Feststellung, Verwahrung und Siegelung des Nachlasses äußert. Der Konsularvertrag gilt nach Untergang der Sowjetunion im Verhältnis zu den meisten ihrer Nachfolgestaaten aufgrund besonderer Vereinbarung fort.
[58] Vgl. zum Meinungsstand Bauer, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 75 EuErbVO Anh. II Rn 3 f.; MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. 2018, Art. 75 EuErbVO Rn 19 f.; Mankowski, ZEV 2013, 529, 530.
[59] LG München I FamRZ 2007, 1250, 1251.
[60] Etwa MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. 2018, Art. 75 EuErbVO Rn 24; Krüger, FS Ansay, 2006, S. 131, 158; Dörner, ZEV 1996, 90, 96; Bauer, FamRZ 2007, 1252 ff.; Gebauer, IPRax 2018, 586, 588.
[61] Bauer, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 75 EuErbVO Anh. II Rn 5; Odersky, in: Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Aufl. 2017, § 15 Rn 352.
[62] Süß, in: Dutta/Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung, S. 188; Dörner, ZEV 1996, 90, 94; anders Bauer, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 75 EuErbVO Anh. II Rn 3 f.; MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. 2018, Art. 75 EuErbVO Rn 20.

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