Rz. 84

Ausländische öffentliche Urkunden müssen sich nach Art. 59 Abs. 1 EuErbVO der Kontrolle durch den ordre public des Verwendungsstaates stellen. Wie stets müssen eventuelle Verstöße gegen die öffentliche Ordnung aber offensichtlich und hinreichend schwer sein, um die Annahme der Urkunde zu verweigern.[80] Die Schwelle wird mit anderen Worten erst dann überschritten, wenn die Wirkung der Urkunde aus Sicht des Verwendungsstaates gänzlich unvereinbar mit den dortigen Vorstellungen der öffentlichen Ordnung ist. Das wird nur selten vorkommen. Denkbar ist etwa der Fall, dass die Reichweite der Beweiskraft vom Recht des Ursprungsstaates an die Staatsangehörigkeit oder an das Geschlecht des Verwenders gekoppelt wird und damit diskriminierende Wirkung entfaltet.[81] Da ohnehin nur Urkunden aus anderen Mitgliedstaaten Beweiswirkung haben, dürften solche Fälle in der Praxis freilich selten vorkommen, da in der EU einheitliche Mindeststandards gegen solche Diskriminierungen gelten. Je nach Einzelfall mag ferner die Beweiswirkung der Urkunde in inakzeptabler Weise zu weit gehen, etwa bei einer Fiktion ohne jede tatsächliche Grundlage. Auch Verfahrensverstöße können einen ordre public-Einwand rechtfertigen, etwa bei Beurkundung durch einen Notar mit evidentem Interessenkonflikt.

 

Rz. 85

Nicht in der EuErbVO geregelt sind die Folgen eines Verstoßes gegen den ordre public. Am weitesten geht die völlige Nichtberücksichtigung der fraglichen ausländischen Urkunde. Dies ist aber nicht zwingend. Es mag bereits ausreichen, die Wirkungen der Urkunde auf ein vertretbares Maß herunterzusetzen.[82] Ist etwa die Beweiswirkung im Ursprungsland durch keinen Gegenbeweis zu erschüttern und stellt dies aus Sicht des Verwendungsstaates einen offensichtlichen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung dar, so reicht es zur Korrektur bereits aus, die Gegenbeweise zuzulassen, welche auch gegen eine inländische Urkunde gestattet wären. Die völlige Nichtberücksichtigung sollte auf Fälle beschränkt bleiben, in denen eine Beschränkung der Wirkung den Verstoß gegen den ordre public nicht beseitigen kann.

 

Rz. 86

In ErwG 66 wird der Fall erwähnt, dass mehrere Urkunden mit widersprüchlichen Inhalten vorliegen.[83] Stammen beide Urkunden aus demselben Ursprungsstaat, so wird in erster Linie das Recht dieses Staates entscheiden, welcher von ihnen der Vorrang zukommt. Ansonsten muss eine Entscheidung je nach den Umständen des Einzelfalles getroffen werden. So kann eine Urkunde Vorrang beanspruchen, die in einem qualifizierten Verfahren erstellt wurde, welches eine höhere Richtigkeitsgewähr bietet. Führt die Abwägung zu keinem eindeutigen Ergebnis, so heben sich die Urkunden gegenseitig auf, der Beweis ist also weder für die eine noch für die andere Version erbracht. Möglich ist auch, dass der inhaltliche Konflikt zwischen einer Urkunde und einer Gerichtsentscheidung entsteht. Das setzt freilich voraus, dass der Entscheidung überhaupt hinsichtlich des gleichen Lebenssachverhalts eine Tatbestandswirkung zukommt. In solch einem Falle wird sich die Entscheidung regelmäßig gegen die Urkunde durchsetzen, da die Rechtskraftwirkung eines Urteils stärker ist als die Beweiswirkung, welche von den Urkunden ausgeht.

[80] Bauer, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 59 EuErbVO Rn 73.
[81] BeckOGK/J. Schmidt, 1.12.2018, EuErbVO Art. 59 Rn 26.1.
[82] Bauer, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 59 EuErbVO Rn 74.
[83] Dazu Bauer, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 59 EuErbVO Rn 82 ff.; NK-BGB/Makowsky, Bd. 6, 2. Aufl. 2015, Art. 59 EuErbVO Rn 14 ff.

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