Rz. 78

Für die Überprüfung der Authentizität einer Urkunde aus einem anderen Mitgliedstaat sind gemäß Art. 59 Abs. 2 EuErbVO ausschließlich die Gerichte des Ursprungsstaates zuständig. Der Begriff der Authentizität ist in ErwG 62 näher erläutert. Er umfasst insbesondere die Echtheit der Urkunde, die Legitimation der ausstellenden Behörde und die Wahrheit des beurkundeten Vorgangs. Die Formbedürftigkeit eines Rechtsgeschäfts richtet sich materiellrechtlich nach dem Formstatut; ob die Urkunde dann diesen Formvorgaben genügt, ist aber nach Art. 59 Abs. 2 EuErbVO ebenfalls nicht Sache des ausländischen Gerichts.

 

Rz. 79

Andere mitgliedstaatliche Gerichte dürfen die Echtheit der Urkunde nicht in Frage stellen. Sie dürfen diese weder selbstständig noch inzident überprüfen. Dies gilt selbst dann, wenn dieses Gericht den Beweis über die Echtheit praktisch ebenso sicher erheben könnte, etwa durch Sachverständige aus dem Ursprungsstaat.[75] Eine Ausnahme in Evidenzfällen ist in der EuErbVO zwar nicht vorgesehen. Man sollte eine solche aber jedenfalls dann zulassen, wenn schon dem äußeren Erscheinungsbild nach keine Urkunde vorliegt, etwa bei offenkundig selbstgestalteten Phantasieurkunden.[76]

 

Rz. 80

Will eine Partei die Wahrheitsvermutung zugunsten der ausländischen Urkunde verhindern, so muss sie also ein formelles Überprüfungsverfahren im Ursprungsstaat anstrengen. Ein solches Authentifizierungsverfahren suspendiert nach Art. 59 Abs. 2 S. 2 EuErbVO die Beweiswirkung der Urkunde. Dies betrifft die gesamte Urkunde, nicht etwa nur den angegriffenen Teil. Für die Dauer der Anhängigkeit des Verfahrens gilt sie in anderen Mitgliedstaaten also weder als echt noch als unecht, sie ist schlicht nicht zu beachten. Nur ein Authentifizierungsverfahren hat einen solchen Suspensiveffekt; wird lediglich in einem ausländischen Verfahren die Echtheit der Urkunde bestritten, kommt allenfalls eine Aussetzung des hiesigen Verfahrens nach den allgemeinen Vorschriften in Betracht.[77] Hat das Gericht im Ursprungsstaat die Echtheit der Urkunde festgestellt, so gilt sie als echt, bei negativem Ergebnis der Echtheitsprüfung ist sie unecht und entfaltet keine Beweiswirkung mehr (ErwG 65 S. 3). Diese Feststellung wirkt allerdings erga omnes, die Echtheit der Urkunde ist also auch für spätere Verfahren verbindlich festgestellt, selbst wenn daran andere Parteien beteiligt sind (vgl. für Deutschland § 46 Abs. 3 S. 3 IntErbRVG). Die Urkunde braucht nicht jedes Mal aufs Neue überprüft zu werden.

 

Rz. 81

Das Initiativrecht für die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens im Ursprungsstaat liegt bei den Parteien des Verfahrens. Das Gericht des Verwendungsstaates kann bei Zweifeln an der Echtheit also nicht von Amts wegen ein solches Verfahren anstrengen, sondern allenfalls im Rahmen seiner Unparteilichkeit eine entsprechende Anregung geben. Das kann problematisch sein, wenn die Parteien trotz auf der Hand liegender Zweifel ein solches Verfahren nicht einleiten wollen und der Verdacht kollusiven Handelns aufkommt.[78] Bei Verdacht einer Straftat (etwa §§ 263, 267 StGB) kann das Gericht freilich die Strafverfolgungsbehörden informieren; für diese gilt die Beweiswirkung nach Art. 59 Abs. 2 EuErbVO nicht, sie können für die Zwecke der Strafverfolgung die Echtheit also selbst prüfen.

 

Rz. 82

Die EuErbVO trifft keine klare Aussage darüber, was die Suspendierung der Beweiswirkung der Urkunde für das laufende Verfahren im Verwendungsstaat bedeutet. In Deutschland bestimmt § 45 IntErbRVG, dass das Gericht das inländische Verfahren bis zur Erledigung des ausländischen Verfahrens aussetzen kann, wenn es für die Entscheidung auf die Authentizität der Urkunde ankommt. Das Gericht entscheidet also nach pflichtgemäßem Ermessen. Fraglich ist, was gelten soll, wenn das Gericht das Verfahren nicht aussetzt, sondern die Urkunde unbeachtet lässt, deren Echtheit aber später im Ursprungsstaat bestätigt wird. Ist die Entscheidung in der Sache inzwischen rechtskräftig, kommt eine Wiederaufnahme wegen neuer Beweismittel wohl nur ausnahmsweise in Betracht.[79]

 

Rz. 83

Über die Echtheit der Urkunde entscheiden die Gerichte gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. EuErbVO nach ihrem eigenen Verfahrensrecht. Die EuErbVO verpflichtet alle Mitgliedstaaten, in denen öffentliche Urkunden erstellt werden, ein entsprechendes förmliches Authentifizierungsverfahren bereitzustellen. In Deutschland ergeben sich die Einzelheiten dafür aus § 46 IntErbRVG. Wird also die Echtheit einer deutschen öffentlichen Urkunde in Frage gestellt, so entscheidet bei gerichtlichen Urkunden das Gericht, das diese Urkunde errichtet hat; bei notariellen Urkunden das für den Amtssitz des Notars zuständige Gericht; bei konsularischen Urkunden schließlich das Amtsgericht Schöneberg in Berlin. In allen anderen Fällen entscheidet das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Urkunde errichtet worden ist.

[75] Geimer, in: Dutta/Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung, S. 154.
[76] MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. 2018, Art. 59 EuErbVO Rn 8; Ba...

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