Rz. 9

Art. 4 EuErbVO weist die Zuständigkeit in Erbsachen grundsätzlich den Gerichten desjenigen Mitgliedstaates zu, in welchem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Der Gesetzgeber erhebt damit den gewöhnlichen Aufenthalt nicht nur zum allgemeinen objektiven Anknüpfungspunkt bei der Bestimmung des anwendbaren Erbrechts (Art. 21 Abs. 1 EuErbVO), sondern auch zum entscheidenden Kriterium der Regelzuständigkeit der Gerichte. Dahinter verbirgt sich die Absicht, die zuständigen Gerichte den Rechtsstreit möglichst nach ihrem eigenen Recht entscheiden zu lassen (Gleichlauf von forum und ius, ErwG 27 S. 1).[9] Hierdurch sollen die Kosten und Unsicherheiten, die mit der Ermittlung und Anwendung eines fremden Rechts verbunden sind, vermieden werden. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist aus diesem Grund im Kollisionsrecht und im Zuständigkeitsrecht gleich auszulegen.[10]

 

Rz. 10

Anders als das Kollisionsrecht (Art. 21 Abs. 2 EuErbVO) kennt das Zuständigkeitsrecht keine Ausweichklausel im Falle einer wesentlich engeren Verbindung zu einem anderen Staat als dem letzten Aufenthaltsstaat.[11] Hat der deutsche Erblasser seinen Lebensabend an der Küste Spaniens verbracht, so sind also (vorbehaltlich der Art. 5 ff. EuErbVO) für das Nachlassverfahren ausschließlich die spanischen Gerichte zuständig, selbst wenn der Nachlass überwiegend in Deutschland belegen ist und auch alle Erben hier leben. Für Letztere ist die Notwendigkeit, ein Verfahren im Ausland zu führen, mit erheblichem Organisations- und Kostenaufwand verbunden. Es ist im Rahmen der Nachlassplanung daher unbedingt an die Möglichkeit der Rechtswahl nach Art. 22 Abs. 1 EuErbVO zu denken, um auf diese Weise den Erben die Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 5 EuErbVO zu geben (siehe dazu Rdn 23 ff.).

 

Rz. 11

Hatte der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb eines Mitgliedstaates, so kommt eine Zuständigkeit mitgliedstaatlicher Gerichte ohne eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung nur nach Maßgabe der Art. 10, 11 EuErbVO in Betracht.

 

Rz. 12

Eine Zuständigkeit nach Art. 10 EuErbVO setzt stets voraus, dass Nachlassvermögen im Mitgliedstaat vorhanden ist. Unklar ist, auf welchen Zeitpunkt es dafür ankommt; die EuErbVO macht hierzu keine genaueren Angaben. Richtigerweise kann es nur auf den Eintritt des Erbfalles ankommen, nicht etwa auf den Moment der Verfahrenseinleitung, denn dann hätten die Erben die Möglichkeit, die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates zu manipulieren, indem sie zuvor Nachlassgegenstände dorthin transferieren.[12] Ebenfalls nicht geregelt ist, ob der Wert der Nachlassgegenstände eine gewisse Schwelle überschreiten muss, um eine Zuständigkeit zu begründen.[13] Befindet sich das gesamte Vermögen des Erblassers in der Schweiz bis auf ein Fahrrad, das dieser bei Bekannten in Deutschland untergestellt hatte, wären die schweizerischen Gerichte für Entscheidungen über den Nachlass sachnäher. Und doch muss in diesen Fällen immer auch ein Gericht eines Mitgliedstaates der Verordnung zuständig sein, eine Zuweisung auch des Bagatellnachlasses an drittstaatliche Gerichte ist schließlich nicht möglich. Der EuErbVO lässt sich auch kein vernünftiges Kriterium für eine Wertgrenze entnehmen, weder in Relation zum Nachlasswert noch überhaupt ein objektiver Schwellenwert. Ist aber die Zuständigkeit nicht abhängig von der Erreichung einer Wertgrenze, so ist die Ausnutzung dieser Zuständigkeitsbegründung durch einen Beteiligten in Fällen bloß geringer Vermögenswerte auch nicht rechtsmissbräuchlich. Keine Zuständigkeit besteht, wenn der Erblasser in einem Staat nur Schulden hinterlassen hat.

 

Rz. 13

Ist die Nachlassbelegenheit das einzig verbindende Kriterium zum Territorium des Mitgliedstaates, so ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus Art. 10 Abs. 2 EuErbVO. Das Gericht darf in diesem Falle nur über den in diesem Mitgliedstaat belegenen Nachlass befinden, d.h., es kommt zu einer verfahrensbedingten Nachlassspaltung. Über weitere Vermögenswerte könnte dann allenfalls noch unter den engen Voraussetzungen des Art. 11 EuErbVO mitentschieden werden; ansonsten müssen die Beteiligten darüber separat in einem Drittstaat prozessieren.

 

Rz. 14

Sind neben der Belegenheit des Nachlasses zusätzlich die in Art. 10 Abs. 1 EuErbVO genannten weiteren Bezugspunkte zum Mitgliedstaat gegeben, können dessen Gerichte über den gesamten Nachlass entscheiden, auch soweit er im Ausland belegen ist. Dies ist zum einen nach Art. 10 Abs. 1 lit. a EuErbVO der Fall, wenn der Erblasser die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates hatte. Anders als in Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 EuErbVO fehlt hier eine ausdrückliche Regelung für Doppelstaater. Allerdings sollte dieselbe uneingeschränkte Wahlfreiheit wie dort auch im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 10 EuErbVO gelten, die Zuständigkeit ist also nicht etwa auf die Gerichte am Ort der "effektiven" Staatsangehörigkeit des Erblassers beschränkt.[14]

 

Rz. 15

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