I. Allgemeines

 

Rz. 59

Unter dem ordentlichen Pflichtteilsanspruch versteht man grundsätzlich den aus dem realen Nachlass zu berechnenden Pflichtteil. Der reale Nachlass umfasst alle zum Zeitpunkt des Todes vorhandenen Gegenstände und Forderungen. Hiervon ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch zu unterscheiden, der sich grundsätzlich aus dem fiktiven Nachlass, d.h. aus den zu Lebzeiten des Erblassers getätigten Schenkungen berechnet.

II. Höhe des Pflichtteilsanspruchs

1. Allgemeines

 

Rz. 60

Die Höhe des Pflichtteilsanspruchs wird von zwei Faktoren bestimmt, nämlich erstens von der Höhe der gesetzlichen Erbquote und zweitens von dem Wert (Netto-Nachlass) und dem Bestand des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls (§§ 2303 Abs. 1 S. 2, 2311 BGB). Der Pflichtteil beträgt die Hälfte der gesetzlichen Erbquote. Für die Berechnung des Anspruchs ist somit zunächst die Pflichtteilsquote zu bestimmen und anschließend kann der Pflichtteilsanspruch entsprechend dem Wert des Nachlasses errechnet werden.

Für die konkrete Ermittlung des Nachlasswertes ist so vorzugehen, dass in einem ersten Schritt der Bestand des Nachlasses festzustellen ist, d.h., dass diejenigen Vermögenspositionen vom Nachlass auszusondern sind, die für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs nicht berücksichtigt werden dürfen. Nachdem der Bestand des Nachlasses feststeht, ist der Wert der Nachlassgegenstände (Aktiva) zu ermitteln. Von den Aktiva des Nachlasses sind dann die Passiva, welche die Erblasserschulden und die Erbfallkosten darstellen, abzuziehen. Nach der Ermittlung des Nachlassbestandes ist aus dem Vergleich zwischen Aktiva und Passiva der Pflichtteil entsprechend der Quote zu berechnen.

2. Gesetzliche Erbquote und Pflichtteilsquote

 

Rz. 61

Die Höhe des gesetzlichen Erbteils hängt von der Zahl der "gesetzlichen Miterben" ab, da sich danach die Erbquote bestimmt. Bei der Bestimmung der gesetzlichen Erbquote werden auch die Enterbten (§ 1938 BGB), die für erbunwürdig Erklärten (§§ 2339 ff. BGB) und diejenigen, die ausgeschlagen haben, mitgezählt. Nicht mitgezählt werden dagegen diejenigen, die zum Zeitpunkt des Erbfalls vorverstorben sind und diejenigen, die wirksam auf ihren Erbteil verzichtet haben (§ 2310 BGB). Ein Erbverzicht wirkt also für die übrigen Pflichtteilsberechtigten pflichtteilserhöhend.

 

Rz. 62

Auch beim gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft kann es zu einer Verschiebung der gesetzlichen Erbquoten und folglich zu einer Veränderung der Pflichtteilsquoten kommen. Wird der Ehegatte aufgrund Enterbung oder Ausschlagung weder Erbe noch Vermächtnisnehmer, so bestimmt sich sein Pflichtteil nach der nicht erhöhten Erbquote gem. §§ 1931, 1371 Abs. 2 BGB. Neben Erben erster Ordnung hat der Ehegatte einen Pflichtteil von ⅛. Zu beachten ist, dass sich in einem solchen Fall auch der Pflichtteil anderer Pflichtteilsberechtigter erhöht (§ 1371 Abs. 2 S. 2 BGB).

Wird der Ehegatte dagegen Alleinerbe, so bemisst sich der Pflichtteil eines Abkömmlings unter Heranziehung von § 1371 Abs. 1 BGB nach einer Erbquote von ½ und beläuft sich somit auf ¼. Die Pflichtteilsquote von Eltern beläuft sich auf ⅛.[106]

[106] BGHZ 37, 58.

3. Bestand des Nachlasses

 

Rz. 63

Bei der Feststellung des Nachlassbestandes sind diejenigen Vermögenspositionen abzuziehen, die nicht vererblich sind, oder die außerhalb des Nachlasses auf Dritte übergehen, so z.B. Leistungen aus einer Lebensversicherung, sofern der Erblasser einen Bezugsberechtigten benannt hat. Nicht in die Bewertung einbezogen werden auch diejenigen Gegenstände, auf die sich z.B. ein gegenständlich beschränkter Pflichtteilsverzicht nach §§ 2346 ff. BGB erstreckt. Verbindlichkeiten, die auf wiederkehrende Leistungen gerichtet sind, werden dabei mit ihrem Kapitalwert berücksichtigt. Unberücksichtigt bleiben hingegen aufschiebend bedingte Rechte und Verbindlichkeiten (§ 2313 Abs. 1 S. 1 BGB). Auflösend bedingte Rechte kommen dagegen voll zum Ansatz (§ 2313 Abs. 1 S. 2 BGB). Differenzen, die sich nach Bedingungseintritt ergeben, sind später auszugleichen (§ 2313 BGB).

 

Rz. 64

Nicht zum Bestand des Nachlasses gehört das Sondervermögen des Erblassers wie bspw. der Anteil des Ehegatten am Gesamtgut bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft, oder der Vorerbschaft unterliegendes Vermögen des Erblassers, da dieses mit dem Tod des Erben (Eintritt des Nacherbfalls) direkt an die Nacherben fällt. Beide Positionen sind somit aus dem Bestand des Nachlasses herauszurechnen.

 

Rz. 65

Ebenfalls vom Bestand des Nachlasses nicht abgezogen werden Auflagen und Vermächtnisse. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus § 1991 Abs. 4 BGB i.V.m. § 327 InsO. Gemäß § 1991 Abs. 4 BGB hat der Erbe Verbindlichkeiten und Auflagen so zu berichtigen, wie sie im Falle des Insolvenzverfahrens zur Berichtigung kommen würden. Im Falle einer Insolvenz sind nach § 327 InsO zunächst die Verbindlichkeiten gegenüber Pflichtteilsberechtigten und danach die Verbindlichkeiten gegenüber Vermächtnisnehmern und Auflagebegünstigten zu erfüllen. Vermächtnis und Auflage gehen daher dem Pflichtteilsrecht nach. Sie können deshalb bei der Berechnung des Pflichtteils nicht abgezogen werden. Gleiches gilt auch für de...

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