Rz. 249

Erforderlich ist generell die Kenntnis des wesentlichen Inhaltes der beeinträchtigenden Verfügung. Auch muss der Berechtigte erkannt haben, dass er aufgrund der Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Dazu ist keine in Einzelheiten gehende Prüfung der Verfügung und keine fehlerfreie Bestimmung ihrer rechtlichen Natur notwendig.[462] Ebenso wenig muss eine genaue Kenntnis des Standes und des Wertes des Nachlasses vorliegen.

 

Rz. 250

Die Kenntnis von der Verfügung kann vielmehr auch auf einer mündlichen Mitteilung beruhen. Ist der Pflichtteilsberechtigte somit allein durch eine Verfügung von Todes wegen beeinträchtigt, dann stellt diese Verfügung die Beeinträchtigung dar, auf die sich die Kenntnis beziehen muss. Kennt der Pflichtteilsberechtigte die enterbende Verfügung von Todes wegen und erlangt er später Kenntnis von einer weiteren Verfügung von Todes wegen, die allem Anschein nach die Enterbung aufhebt, so entfällt damit die Kenntnis und der als bislang abgelaufene Verjährungszeitraum gilt als nicht abgelaufen.[463] Besteht die Benachteiligung des Pflichtteilsberechtigten dagegen nur in der Tatsache, dass der Erblasser zu Lebzeiten einen Vermögensgegenstand verschenkt hat, dann handelt es sich bei der beeinträchtigenden Verfügung gerade um diese Schenkung, auf die sich die Kenntnis i.S.v. § 2332 BGB beziehen muss. Bei mehreren Schenkungen können je nach Zeitpunkt der Kenntniserlangung unterschiedliche Verjährungsfristen zu laufen beginnen.

 

Rz. 251

Schwierig sind solche Fälle, in denen der Berechtigte sowohl einen Anspruch auf den ordentlichen Pflichtteil, als auch auf den Ergänzungspflichtteil hat und er zu unterschiedlichen Zeitpunkten von seiner Berechtigung erfährt. Es stellt sich in solch einem Fall die Frage, welcher Zeitpunkt der Kenntniserlangung als Beginn für die Verjährungsfrist angenommen wird.

 

Rz. 252

Erfährt der Berechtigte zunächst von einer beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung von Todes wegen, so beginnt der Fristablauf mit dem Zeitpunkt des Erbfalls, also in dem Moment, in dem der Berechtigte vom Tod und der Verfügung des Erblassers erfährt. Zu einem späteren Zeitpunkt erlangt er dann auch noch Kenntnis von einer beeinträchtigenden Verfügung unter Lebenden (Schenkung); zu diesem Zeitpunkt beginnt dann die Verjährungsfrist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch.

 

Rz. 253

Liegt der umgekehrte Fall vor, dass der Berechtigte erst von der lebzeitigen Verfügung und dann von der letztwilligen Verfügung Kenntnis erlangt, ist der Beginn der Verjährungsfrist nicht vor Kenntniserlangung der letztwilligen Verfügung anzusetzen.[464]

Folglich können die Verjährungsfristen von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu laufen beginnen. Es ist demnach möglich, dass der Anspruch auf den ordentlichen Pflichtteil bereits verjährt ist, der Anspruch auf die Pflichtteilsergänzung aber noch nicht. Allgemein ist zur Kenntniserlangung noch zu erwähnen, dass der Pflichtteilsschuldner die Beweislast dafür trägt, dass der Pflichtteilsgläubiger Kenntnis von der beeinträchtigenden Verfügung unter Lebenden oder der von Todes wegen hat. Verjährt der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach dem ordentlichen Pflichtteilsanspruch, muss der Erbe die Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten von der lebzeitigen Zuwendung darlegen und beweisen. Das Gericht kann nicht unterstellen, dass der Pflichtteilsberechtigte bald nach dem Erbfall Kenntnis von der lebzeitigen Zuwendung erlangt hat.[465]

 

Hinweis

Für den Beginn der Verjährung des Pflichtteilsanspruchs kommt es nicht auf die Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten von Zusammensetzung und Wert des Nachlasses an. Die Verjährungsfrist beginnt nicht erneut zu laufen, wenn der Pflichtteilsberechtigte erst später von der Zugehörigkeit eines weiteren Gegenstandes zum Nachlass erfährt. § 2313 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 3 BGB ist nicht entsprechend anzuwenden.[466]

[462] BGH NJW 1995, 1157; RGZ 104, 195, 197.
[463] BGH FamRZ 1985, 1021.
[464] BGH NJW 1972, 760; BGHZ 95, 76, 80.
[465] Vgl. zur Beweislast für die Kenntnis Staudinger/Olshausen, § 2332 Rn 24.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge