Rz. 54

Bei den Nachlassverbindlichkeiten unterscheidet man zwei grundsätzliche Kategorien. Zum einen die Erblasserschulden und zum anderen die Erbfallkosten. Zu den Erblasserschulden zählen alle Verbindlichkeiten, die der Erblasser vor seinem Tod eingegangen ist. Dies sind zunächst alle Schulden des Erblassers, wie bspw. unbezahlte Rechnungen, Darlehen, Bankschulden oder Beitragsrückstände. Hierbei ist darauf zu achten, in welcher Höhe die Schulden den Erblasser selbst treffen und inwieweit er die Schulden auf andere abwälzen kann, oder ihm gar ein Erstattungsanspruch zusteht. Ist bspw. noch eine offene Arztrechnung vorhanden, so stellt dies eine Nachlassverbindlichkeit dar, wobei aber ggf. ein vorhandener Anspruch gegenüber einer Krankenversicherung in Abzug zu bringen ist. Des Weiteren ist darauf zu achten, dass bei gemeinsamen Schulden von Ehegatten, bspw. ein gemeinsam aufgenommener Kredit, für die sie gesamtschuldnerisch haften, nur die Hälfte, also der im Innenverhältnis auf den Erblasser fallende Teil, in Abzug zu bringen ist.

 

Rz. 55

Zu den Erblasserschulden zählen insbesondere auch alle noch offenen Steuerschulden, soweit sie in der Person des Erblassers entstanden sind. Dies gilt unabhängig davon, ob die Steuer bereits veranlagt wurde. Fraglich ist, ob rückständige Einkommenssteuerschulden auch dann voll in Abzug zu bringen sind, wenn die Ehegatten gemeinsam veranlagt wurden, aber nur der Erblasser gearbeitet hat. Der BGH hat für den Fall der gemeinsamen Veranlagung entschieden, dass dies nicht zur Folge hat, dass beide Ehegatten gem. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB zu gleichen Teilen die Steuern tragen müssen.[94] Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der güterrechtlichen Beziehung der Ehegatten zueinander. Denn ebenso getrennt wie das Vermögen im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft sind auch die Schulden zu behandeln. Deshalb hat jeder Ehegatte für die auf seine Einkünfte fallenden Steuern selbst aufzukommen. Hat also, wie im genannten Fall, lediglich der Erblasser Einkünfte gehabt, sind die Ehegatten aber gemeinsam veranlagt worden, dann sind die noch offenen Steuerschulden insgesamt als Passiva in Abzug zu bringen. Der Pflichtteilsberechtigte muss sich diese voll entgegenhalten lassen. Nicht als Nachlassverbindlichkeit anzusetzen ist jedoch die Erbschaftsteuerschuld.[95] Gleiches gilt nach Ansicht des BGH für die bei Aufgabe eines Gewerbebetriebs nach § 16 EStG anfallende latente Ertragssteuer. Die im Falle einer Veräußerung anfallende latente Ertragssteuer kann jedoch bei der Bewertung des Unternehmens zu berücksichtigen sein.[96]

 

Rz. 56

Auch die Rückforderungsansprüche des Sozialhilfeträgers sind abzugsfähige Erblasserschulden.[97] Ebenso zählen Verbindlichkeiten, die aus unerlaubter Handlung entstanden sind, zum Passivbestand des Nachlasses. Zu beachten ist, dass Grundschulden und Hypotheken bei der Bemessung der Nachlasspassiva nur in Höhe ihrer Valutierung zu berücksichtigen sind.[98]

 

Rz. 57

Problematisch ist, inwieweit eine bestehende Unterhaltsverpflichtung des Erblassers eine Nachlassverbindlichkeit darstellt. Vom Aktiv-Nachlass in Abzug zu bringen sind diejenigen Unterhaltsansprüche gegen den Erblasser, die durch den Tod nicht erloschen sind. Hierunter fällt bspw. der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nach § 1586b BGB, allerdings begrenzt auf den fiktiven Pflichtteil des Ehegatten, die Ansprüche der Mutter eines nichtehelichen Kindes nach §§ 1615k, 1615l BGB und wohl auch der Unterhaltsanspruch einer werdenden Mutter nach § 1963 BGB.[99] Nach Ansicht des BGH ist auch der Unterhaltsanspruch des nichtehelichen Kindes als Nachlassverbindlichkeit bei der Berechnung des Pflichtteils abzuziehen.[100] Der BGH hat dies zumindest für den Fall entschieden, in dem der Erblasser seine nichtehelichen Kinder als Alleinerben eingesetzt hatte.

 

Hinweis

Verbindlichkeiten gegenüber Dritten können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie zum Zeitpunkt des Erbfalls rechtswirksam bestanden.[101]

[94] BGH NJW 1979, 546.
[95] MüKo/Lange, § 2311 Rn 14; RGRK/Johannsen, § 2311 Rn 7.
[96] BGH NJW 1972, 1269; a.A. Crezelius, § 2 Rn 95, der die latenten Ertragssteuern als Nachlassverbindlichkeit abziehen will. So im Ergebnis auch Lorz, ZErb 2003, 302.
[97] Palandt/Weidlich, § 2311 Rn 4.
[98] Klingelhöffer, Pflichtteilsrecht, Rn 450.
[99] Palandt/Weidlich, § 1963 Rn 3.
[100] BGH NJW 1975, 1123.
[101] OLG Frankfurt a.M. ZEV 2003, 364.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge