aa) Allgemeines

 

Rz. 538

Bei der Anfechtung der bei einem Erbvertrag abgegebenen Willenserklärungen ist in dreifacher Weise zu unterscheiden: Die Erklärungen des Vertragspartners, der nicht als Erblasser gehandelt hat, die vertraglich bindenden Verfügungen des Erblassers und die einseitigen Verfügungen des Erblassers (§ 2299 BGB).

 

Rz. 539

Für die Erklärungen des Vertragspartners, der nicht als Erblasser handelt und daher keine Verfügungen von Todes wegen sind, gelten die allgemeinen Anfechtungsvorschriften der §§ 119 ff. BGB, insbesondere die eingeschränkte Motivirrtumsanfechtung des § 119 Abs. 2 BGB. Damit gelten auch die Fristen der §§ 121, 124 BGB. Die Anfechtungserklärung kann formlos abgegeben werden; sie ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die dem Erblasser oder dessen Rechtsnachfolger als Anfechtungsgegner gegenüber abzugeben ist, § 143 BGB.

 

Rz. 540

Für diejenigen Erklärungen des Erblassers im Erbvertrag, die den Charakter einseitiger Verfügungen von Todes wegen haben, bedarf es der Anfechtung nicht, weil sie nach den allgemeinen Vorschriften des Testamentsrechts widerrufen werden können. Für die Anfechtung solcher Verfügungen von Todes wegen durch Dritte gelten die allgemeinen Testamentsanfechtungsvorschriften der §§ 2078 ff. BGB.

 

Rz. 541

Bei gegenseitigen Erbverträgen, insbesondere bei Ehegattenerbverträgen – und bei Erbverträgen eingetragener Lebenspartner –, geben meist beide oder alle Vertragspartner vertragsmäßige Willenserklärungen auf den Todesfall ab. Für jeden von ihnen gelten die Vorschriften über die Erblasseranfechtung.

 

Rz. 542

Der Selbstanfechtung von vertraglich bindend gewordenen Verfügungen durch den Erblasser selbst kommt in der Praxis einige Bedeutung zu. Trotz des Beurkundungszwanges und der damit verbundenen Belehrung sind sich Erblasser nicht immer im Klaren über die Reichweite der von ihnen eingegangenen vertraglichen Bindung.

bb) Anfechtungsrecht

(1) Selbstanfechtungsrecht des Erblassers

 

Rz. 543

§ 2281 Abs. 1 BGB gewährt dem Erblasser eine Anfechtungsmöglichkeit, deren Tatbestände grundsätzlich dieselben sind wie bei der Testamentsanfechtung, §§ 2281, 2078, 2079 BGB. Dies ist ein entscheidender Unterschied zum Anfechtungsrecht beim Einzeltestament. Dort kann der Erblasser jederzeit seine Erklärung widerrufen, deshalb hat er selbst kein Anfechtungsrecht; vielmehr kann dies nur Dritten zustehen. Dies hat andererseits aber auch zur Folge, dass der Erblasser einseitig im Erbvertrag getroffene Verfügungen (§ 2299 BGB) nicht anfechten kann, weil ihm insoweit ebenfalls die Widerrufsmöglichkeit offensteht (§ 2299 Abs. 2 BGB).

 

Rz. 544

Mit erbvertraglich bindender Wirkung können nur Erbeinsetzung, Vermächtnisanordnung, Auflagenanordnung und die Wahl des anzuwendenden Erbrechts vereinbart werden, § 2278 Abs. 2 BGB. Da nur insoweit eine vertragliche Bindung entstehen kann, kann sich das Selbstanfechtungsrecht des Erblassers auch nur auf solche Anordnungen beziehen. Sind die Regelungen im Erbvertrag zur Frage der Reichweite der Bindung nicht eindeutig, so muss die Frage, ob eine Bindung gewollt ist oder nicht, durch Auslegung ermittelt werden (§§ 133, 157 BGB). Es gibt auch Verfügungen, bezüglich derer der Erblasser sich einen Änderungsvorbehalt in den Vertrag hat aufnehmen lassen; solange von der Abänderungsmöglichkeit kein Gebrauch gemacht wurde, ist die betreffende Verfügung bindend.[582]

[582] Veit, NJW 1993, 1543, 1553.

(2) Anfechtung des Erbvertrags durch Dritte

 

Rz. 545

Nach dem Erbfall kann derjenige, dem die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar zustatten kommen würde, nach allgemeinen Testamentsregeln anfechten, §§ 2080, 2285 BGB. Es gelten die Vorschriften der §§ 2078 ff. BGB. Vgl. zum Testamentsanfechtungsrecht Teil 5.

cc) Anfechtungserklärung

 

Rz. 546

Die Anfechtungserklärung ist gegenüber dem bzw. den anderen Vertragschließenden abzugeben, § 143 Abs. 2 BGB. Nach dem Tod eines Erblassers sind diejenigen Verfügungen, die zu seinen Gunsten angeordnet wurden, nicht mehr anfechtbar; sie sind gegenstandslos geworden. Hat der überlebende Erblasser oder haben die überlebenden Erblasser zugunsten dritter Personen Verfügungen getroffen, so müssen diese gegenüber dem Nachlassgericht des bereits verstorbenen Erblassers angefochten werden, § 2281 Abs. 2 BGB. Ficht der überlebende Erblasser als Dritter im Sinne der §§ 2279 Abs. 1, 2080 BGB Verfügungen des bereits verstorbenen Erblassers an, die zugunsten eines Dritten vorgenommen wurden, so ist die Anfechtungserklärung entweder gegenüber dem Nachlassgericht abzugeben, wenn es sich um Erbeinsetzungen und Testamentsvollstreckungsanordnungen handelt (§ 2181 Abs. 1, Abs. 3 BGB), oder gegenüber dem Beschwerten, wenn es sich um Vermächtnisse handelt (§ 143 Abs. 4 S. 1 BGB).

dd) Anfechtungsgründe

(1) Inhalts- und Erklärungsirrtum

 

Rz. 547

Hier gelten dieselben Grundsätze wie beim Testamentsanfechtungsrecht, §§ 2281 Abs. 1, 2078 Abs. 1 BGB. Allerdings kann ein Inhaltsirrtum auch in der Weise bestehen, dass sich der Erblasser über die rechtliche Tragweite, vor allem über die Bindungswirkung des Erbvertrags, bei seinem Abschluss nicht im Klaren war.[583]

 

Rz. 548

Das objektive Moment, das in § 119 Abs. 1 BGB bei der Anfechtung von Willenserklä...

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