(1) Rücktritt bei Verfehlungen des Bedachten (§§ 2293, 2294 BGB)

 

Rz. 569

Macht sich der Bedachte einer Verfehlung schuldig, die den Erblasser berechtigt, ihm den Pflichtteil zu entziehen oder – falls der Bedachte nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehört – ihn berechtigen würde, einem Abkömmling den Pflichtteil zu entziehen, so kann der Erblasser vom Erbvertrag zurücktreten (§ 2294 BGB). Die Pflichtteilsentziehungsgründe sind in § 2333 BGB abschließend aufgezählt.

 

Rz. 570

Hat der überlebende Ehegatte eine wechselbezügliche Verfügung wegen Vorliegens einer Verfehlung nach §§ 2294, 2333 ff. BGB in der Form des § 2336 BGB wirksam aufgehoben, wird der Widerruf durch eine nachträgliche Verzeihung i.S.v. § 2337 S. 2 BGB nicht unwirksam. Die Vorschrift gilt nur für die Entziehung des Pflichtteils nach §§ 2333 ff. BGB und nicht für die Aufhebung einer Verfügung gemäß § 2271 Abs. 2 S. 2 BGB.[596] Weder § 2271 Abs. 2 S. 2 BGB noch § 2294 BGB verweisen auf § 2337 S. 2 BGB; für eine entsprechende Anwendung besteht kein hinreichender Grund. Dem Erblasser verbleibt wie auch sonst die Möglichkeit, neu zu testieren bzw. den Widerruf gemäß §§ 2253 ff. BGB zu widerrufen.

 

Rz. 571

Nur wenn die Verfehlung nach Vertragserrichtung begangen wurde, entsteht das Rücktrittsrecht. War sie bereits vorher begangen worden, hatte der Erblasser aber keine Kenntnis davon, so kann ein Anfechtungsrecht in Betracht kommen. Die Beweislast für das Vorliegen der Rücktrittsvoraussetzungen trägt der Erblasser.

[596] KG, Beschl. v. 19.10.2010 – 1 W 361/10, ErbR 2011, 59 = Rpfleger 2011, 86; MüKo/Musielak, § 2271 Rn 29; vgl. auch Palandt/Weidlich, § 2294 Rn 1; Staudinger/Kanzleiter (2014), § 2294 Rn 5; Soergel/Wolf, § 2294 Rn 4; Lange/Kuchinke, S. 513 Fn 263 jew. zu § 2294 BGB.

(2) Rücktritt bei Wegfall der Gegenverpflichtung, § 2295 BGB

 

Rz. 572

§ 2295 BGB gewährt dem Erblasser ein Rücktrittsrecht, wenn die Verpflichtung des Vertragspartners auf wiederkehrende Leistungen gegenüber dem Erblasser vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird. Diese Vorschrift zielt auf entgeltliche Erbverträge ab. Seine bereits erbrachten Leistungen kann der Vertragspartner im Falle des Rücktritts nach § 812 Abs. 1 S. 2 BGB zurückverlangen (Nichterreichen des bezweckten Erfolgs).

 

Rz. 573

Ist mit einem Erbvertrag, durch den der Erblasser den Bedachten zum Erben bestimmt, ein gegenseitiger Vertrag unter Lebenden verbunden, in dem der Bedachte sich zum Erbringen von Pflegeleistungen verpflichtet und der Erblasser weitere Verpflichtungen übernimmt, z.B. keine Veräußerung oder Belastung seines Hausgrundstücks zu Lebzeiten, so kann Letzterer wegen unterbliebener Pflegeleistungen gemäß § 323 BGB von diesem Vertrag und zugleich nach § 2295 BGB vom Erbvertrag zurücktreten. Ein derartiger Rücktritt kommt erst dann in Betracht, wenn der Erblasser den Bedachten unter Fristsetzung zuvor vergeblich aufgefordert hat, die im Einzelnen zu bezeichnenden Pflegeleistungen zu erbringen.[597]

 

Rz. 574

Nach § 2295 BGB kann der Erblasser von einer vertragsmäßigen Verfügung zurückzutreten, wenn die Verfügung mit Rücksicht auf eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu entrichten, insbesondere Unterhalt zu gewähren, getroffen ist und die Verpflichtung vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird. Grundsätzlich finden die Regelungen über gegenseitige Verträge nach §§ 320 ff. BGB, insbesondere über den Rücktritt nach § 323 BGB, auf Erbverträge keine Anwendung, da es am Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der erbrechtlichen Verfügung und der übernommenen Verpflichtung des Vertragserben fehlt.[598] Es liegt aber dann ein gegenseitiger Vertrag vor, wenn der Erbvertrag nicht nur eine Erbeinsetzung einerseits und die Pflegeverpflichtung des Bedachten andererseits enthält, sondern der Erblasser weiter die Verpflichtung übernommen hat, sein Hausgrundstück nicht zu veräußern und zu belasten. Zu deren Absicherung können die Vertragsparteien bei Verstoß eine Pflicht zur sofortigen unentgeltlichen Übereignung in den Vertrag aufnehmen und diese zugunsten des Bedachten durch eine Vormerkung absichern lassen. Diese Unterlassungspflicht des Erblassers sowie die Pflegepflicht des Bedachten stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis i.S.v. § 323 Abs. 1 BGB. Ist aber mit dem Erbvertrag ein gegenseitiger Vertrag unter Lebenden verbunden, durch den der Bedachte sich dem Erblasser zur Gewährung von Pflege und/oder Unterhalt verpflichtet, so kann der Erblasser beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 323 BGB von diesem Vertrag und zugleich nach § 2295 BGB vom Erbvertrag zurücktreten.[599]

[597] BGH, Beschl. v. 5.10.2010 – IV ZR 30/10, ErbR 2011, 21 = FamRZ 2010, 2072 = NJW 2011, 224 = ZErb 2011, 168 = ZEV 2011, 254 = ZFE 2011, 76.
[598] BGH, Beschl. v. 5.10.2010 – IV ZR 30/10, ErbR 2011, 21 = FamRZ 2010, 2072 = NJW 2011, 224 = ZErb 2011, 168 = ZEV 2011, 254 = ZFE 2011, 76; OLG Karlsruhe FamRZ 1997, 1180; LG Köln DNotZ 1978, 685; Staudinger/Kanzleiter, § 2295 Rn 3; MüKo/Musielak, § 2295 Rn 1; Erman/Schmidt, § 2295 Rn 8; Soergel/Wolf, § 2295 Rn 4; J. Mayer, in: Reimann/Beng...

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