aa) Bindungswirkung und weitere Verfügungen von Todes wegen

 

Rz. 511

Der Erbvertrag hat, da er den Erblasser hinsichtlich seiner vertragsmäßigen Verfügungen gemäß § 2289 BGB bindet, eine Beschränkung der Testierfreiheit des Erblassers zur Folge. Der Vertragsserbe wird ohne weiteres Zutun nach dem Erbfall Rechtsnachfolger des Erblassers; hieran ist der Erblasser gebunden. § 2289 BGB hat insofern eine zentrale Bedeutung im Recht des Erbvertrags. Nach dieser Vorschrift richten sich die Wirkungen der Errichtung eines Erbvertrags im Verhältnis zu anderen Verfügungen von Todes wegen.

 

Rz. 512

Von der Vertragsmäßigkeit einer angeordneten letztwilligen Verfügung zu unterscheiden ist die Frage der Abhängigkeit mehrerer Verfügungen voneinander. Verknüpft in diesem Sinne können Verfügungen von Todes wegen nur sein, wenn mindestens zwei Personen als Erblasser handeln und die Verfügung des einen mit der des anderen steht und fällt, § 2298 BGB.

 

Rz. 513

Die Nichtigkeit einer vertragsmäßigen Verfügung führt nach § 2298 Abs. 1 BGB dann zur Unwirksamkeit des ganzen Erbvertrags, wenn in ihm von beiden Teilen vertragsmäßige Verfügungen getroffen worden sind. Von dieser gegenseitigen Abhängigkeit (Wirksamkeitsverknüpfung) nach § 2298 Abs. 1 BGB ist immer auszugehen, wenn nicht ein anderer Wille der Vertragschließenden anzunehmen ist, § 2298 Abs. 3 BGB.[554] Damit wird dem Interesse beider Vertragserblasser Rechnung getragen, da regelmäßig keiner seine Verfügung ohne die Verfügung des anderen getroffen haben würde.

Im Gegensatz dazu führt die Nichtigkeit einer lediglich vertragsmäßigen Verfügung (die nicht auch verknüpft ist) nur dann zur Unwirksamkeit einer nicht vertragsmäßigen Verfügung, wenn im Rahmen von § 2085 BGB anzunehmen ist, dass der Erblasser diese Verfügung ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen hätte.

Im Erbvertrag enthaltene einseitige Verfügungen können dann jedoch regelmäßig als Testament aufrechterhalten werden (§§ 140, 2299 BGB).

 

Rz. 514

Ein bestehendes Testament wird durch den später abgeschlossenen Erbvertrag aufgehoben, soweit dadurch das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigt wird, § 2289 Abs. 1 S. 1 BGB (Aufhebungswirkung).

 

Rz. 515

Ein Erbvertrag, der zwischen denselben Personen geschlossen worden war, wird unwirksam, soweit er dem zweiten widerspricht; es gilt der letzte. Damit wird im zweiten Erbvertrag eine ganze oder teilweise einverständliche Vertragsaufhebung nach § 2290 BGB gesehen.

 

Hinweis

Wegen dieser weitreichenden Rechtswirkung eines Erbvertrags muss vor dessen Beurkundung sehr sorgfältig recherchiert werden, ob der Erblasser bereits einen Erbvertrag oder ein Testament errichtet hat.

 

Rz. 516

Sowohl ein späteres Testament als auch ein späterer Erbvertrag sind insoweit absolut unwirksam, als die Rechtsstellung des vertragsmäßig Bedachten im Zeitpunkt des Erbfalls beeinträchtigt wird, § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB.

[554] Zur Beweislast BayObLG ZEV 1995, 413.

bb) Begriff der Beeinträchtigung

 

Rz. 517

Die vertragsmäßigen Verfügungen eines Erbvertrages wirken also dann bindend, wenn sie durch eine andere Verfügung von Todes wegen beeinträchtigt werden.

Entscheidend für das Vorliegen einer Beeinträchtigung ist nach herrschender Ansicht nicht der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern derjenige des Erbfalls. Nur dann, wenn der Bedachte auch wirklich Erbe geworden ist, kann es zu einer Beeinträchtigung seines Rechts kommen. Hingegen kann eine Beeinträchtigung nicht mehr eintreten, wenn der Erbvertrag bereits vor dem Erbfall gegenstandslos wird, weil der Bedachte wegfällt. Bei einem Vorversterben des Bedachten behält deshalb eine frühere Verfügung von Todes wegen ihre Wirkung,[555] soweit sich nicht aus dem Erbvertrag ein entgegenstehender Wille des Erblassers ergibt.

 

Rz. 518

Geschützt wird das Recht des vertragsmäßig Bedachten. Würde die anderweitige Verfügung von Todes wegen diese Rechtsstellung mindern, beschränken, belasten oder gegenstandslos machen, so liegt eine Beeinträchtigung vor.[556] Es kommt auf die nachteilige Veränderung der rechtlichen Position des vertragsmäßig Bedachten an. Eine Beeinträchtigung liegt beispielsweise in der Anordnung eines Teilungsverbots (§ 2044 BGB) oder der Anordnung einer Teilung mit Weiterschenkung zu Lasten des Vertragserben[557] oder wenn der Erblasser nach Abschluss des Erbvertrages eine Testamentsvollstreckung anordnen will.[558] Damit würde die Rechtsstellung des vertragsmäßig Bedachten beschränkt werden, insbesondere im Hinblick auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bezüglich der einzelnen Nachlassgegenstände, §§ 2205, 2211 BGB. Umstritten ist allerdings, ob es für die Feststellung einer Beeinträchtigung im Sinne des § 2289 Abs. 1 BGB allein auf einen Vergleich aus rechtlicher Sicht ankommt[559] oder ob auch wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen.[560]

Gegen die Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte hat sich der BGH ausgesprochen.[561] Danach kommt es ausschließlich auf die Beeinträchtigung in rechtlicher Hinsicht an. Demgemäß misst der BGH der Auswechslung der Person des Testamentsvollstreckers nur dann beeinträcht...

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