Rz. 479

Im Gegensatz zum Testament als einseitige Willenserklärung treffen im Erbvertrag entweder beide Vertragsteile oder nur einer eine Verfügung von Todes wegen mit vertraglicher Bindung, § 1941 BGB. Wesentliches Merkmal der Testierfreiheit ist die Möglichkeit, testamentarische Verfügungen jederzeit frei widerrufen zu können. Diese freie Widerruflichkeit gilt für vertraglich angeordnete Verfügungen von Todes wegen nicht. Hierin liegt eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot des § 2302 BGB, wonach Verträge über die Testierfreiheit des Erblassers unzulässig sind.[520]

 

Rz. 480

Die Rechtsnatur des Erbvertrags wird von zwei Elementen geprägt: Einerseits trifft der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen, andererseits wird diese Verfügung im Einverständnis mit dem Vertragspartner getroffen. Da der Erbvertrag die Verfügung von Todes wegen selbst enthält, verstößt er auch nicht gegen § 2302 BGB – der Erbvertrag ist kein Verpflichtungsvertrag. Bereits zu Lebzeiten des Erblassers tritt für ihn eine vertragliche Bindung ein. Auf der einen Seite steht die höchstpersönliche Verfügung von Todes wegen, auf der anderen finden sich Elemente eines zweiseitigen Vertrags. Aus diesem Grund spricht man auch von der "Doppelnatur" des Erbvertrags.[521] Weil aber die Wirkungen erst mit dem Tod des Erblassers eintreten, wird der Erbvertrag als "Vertrag sui generis" gekennzeichnet.[522] Damit wird gleichzeitig klargestellt, dass die Vorschriften des BGB für schuldrechtliche Verträge einschließlich der Vorschriften über gegenseitige Verträge (§§ 323 ff. BGB) nicht anwendbar sind.[523] Auch wenn sich die Vertragschließenden – häufig Ehegatten – gegenseitig zu Erben einsetzen oder wenn einerseits der Erblasser eine Person zum Erben einsetzt und diese Person eine Verpflichtung zur Erbringung einer Leistung zu Lebzeiten verspricht, so finden die schuldrechtlichen Vorschriften auf den Erbvertrag dennoch keine Anwendung. Denkbar wäre in einem solchen Fall allenfalls eine Verbindung der beiden Verträge nach § 139 BGB, falls ein entsprechender Parteiwille festgestellt werden kann.

 

Rz. 481

Weitere Folgen der vertraglichen Bindung des Erblassers sind:

Die vertragsmäßig getroffenen Verfügungen können nicht einseitig widerrufen werden (Ausnahme: Anfechtung und Rücktritt).
Der Erblasser kann keine anders lautende Verfügung von Todes wegen errichten (§ 2289 Abs. 1 BGB).

Die vertragsmäßige Verfügung von Todes wegen kann entweder zugunsten des Vertragspartners oder zugunsten eines Dritten erfolgen.

 

Rz. 482

Der Erbvertrag kann zwischen fremden Personen geschlossen werden, ist also nicht auf Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner beschränkt. Von den mehreren fremden Personen kann jede oder nur eine als Erblasser handeln.

 

Rz. 483

 

Hinweis

Nicht jede Rechtsordnung hat sich so extrem komplizierte Regeln wie die der vertraglichen letztwilligen Verfügungen zu eigen gemacht. Die zum romanischen Rechtskreis gehörenden Staaten kennen in der Regel weder den Erbvertrag noch das gemeinschaftliche Testament. Da sich das Erbstatut in Europa grundsätzlich nach dem Recht des Staates richtet, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes bzw. bei Abschluss des Erbvertrages seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 25 EGBGB i.V.m. Art. 21 Abs. 1, 25 EuErbVO), ist Vorsicht geboten, wenn ein Staatsangehöriger aus diesem Rechtskreis ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag als Erblasser errichten will. Ein Verstoß gegen das Verbot gemeinschaftlicher letztwilliger Verfügungen hätte in aller Regel deren Formnichtigkeit zur Folge.

[520] Zum Spannungsverhältnis einer Poolvereinbarung nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 S. 2 ErbStG und § 2302 BGB Leitzen, ZEV 2010, 401; das ErbStG versteht unter "einheitlicher Verfügung" jedoch nur rechtgeschäftliche (lebzeitige) Verfügungen; Poolvereinbarungen müssen und sollten daher nicht auf Verfügungen von Todes wegen erstreckt werden.
[521] MüKo/Musielak, vor § 2274 Rn 3.
[522] Nolting, JA 1993, 129.
[523] Leipold, Rn 369.

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