Rz. 29

Anwälte müssen bei der Regulierung die Höhe des Zinssatzes zwingend mit aller Sorgfalt und Vorsicht beachten. Bei den einzelnen Schadenspositionen kann in Absprache mit den Mandanten "notfalls" nachgegeben werden, bei der Höhe des Zinssatzes sollte jedoch versucht werden, diesen so niedrig wie möglich festzusetzen, da das für den Mandanten die finanziell größte Auswirkung hat. Ein Nachgeben beim Zinssatz würde letztlich die aktuellen faktischen Gegebenheiten der Finanzmärkte sowie die Rechtsprechung des BGH aus dem Jahre 1981 ("jeweiligen Zinsniveau") und die überwiegende Ansicht der in der Literatur vertretenen Meinungen fehlerhaft ausblenden.

 

Achtung

Eine solche Fehlerhaftigkeit könnte aus Sicht der Verfasser durchaus einmal eine Haftung des Anwalts begründen.

 

Rz. 30

Freyberger hat in seinem Seminar "Der Abfindungsvergleich bei Personenschäden" auf das "Jesus"-Beispiel hingewiesen. Dieses besagt: "Jesus bekommt zur Geburt von seinem Vater einen Cent geschenkt. Diesen bringt er auf die Bank, die ihm verspricht, jedes Jahr 4 % Zinsen gutzuschreiben. Wie hoch ist das Kapital nach 2000 Jahren? Das Ergebnis lautet: 1,042000 Cent. Man müsste die Erde für diesen Betrag zweimal in Gold aufwiegen." Dieses Beispiel zeigt, warum die Zinsen so von Bedeutung sind. Genau aus diesem Grunde versuchen die Versicherer auch, in den Regulierungsgesprächen so zu tun, als ob die 5 % Zinsen "in Stein gemeißelt" sind und hieran nicht zu rütteln ist.

 

Praxistipp

Da die Außenregulierer/Sachbearbeiter der Versicherer mit dem Grundsatz zum Regulierungsgespräch anreisen, dass über alles geredet werden könne, aber nicht über den Zinssatz und dass dieser bei mindestens 5 % feststehe, muss der Anwalt in dem Regulierungsgespräch taktisch vorgehen. Es existieren heute Tabellenwerke und Rechenprogramme (z.B.: Quirmbach/Gräfenstein/Strunk, "Kapitalisierungstabellen"; Stauffer/Schaetzle/Schaetzle/Weber, "Barwerttafeln und Berechnungsprogramme"; Pardey, "Berechnung von Personenschäden"), in denen jeweils bei den einzelnen Schadenspositionen individuell die verschiedenen Zinssätze durchgerechnet werden können (also auch solche unter 5 %). Je nach Laufzeit ergibt sich daher ein Differenzbetrag von Summe X. Möglicherweise kann dieser auf eine andere Schadensposition addiert werden. Konkret wird dann "das Kind" nur anders benannt. Der Versicherer verliert auf diese Art und Weise nicht sein Gesicht und kann argumentieren, dass er höchstens mit 4,5 % oder 5 % kapitalisiert habe. Wenn der Anwalt seinen Mandanten über diese Vorgehensweise detailliert aufklärt und der Mandant diese Vorgehensweise akzeptiert, wäre ein solcher Vergleich zulässig und der Anwalt haftungsrechtlich "safe".

 

Praxistipp

Sollte der Außenregulierer/Sachbearbeiter partout nicht kompromissbereit sein und bei 5 % oder 5,5 % ausharren und auch sonst nicht vergleichsbereit sein, hilft in der Praxis oftmals der Hinweis, dass dann eben in Absprache mit dem Mandanten die Akte "offen" bleibt und es zu keiner Kapitalabfindung kommt. Dann muss der Versicherer notfalls quartalsmäßig vorschüssig leisten. Es sind entsprechend jeden Monat Belege hinsichtlich sämtlicher Positionen an den Versicherer zu schicken, so dass der Versicherer einen erhöhten Verwaltungsaufwand hat und möglicherweise nach einer gewissen Zeit einlenken, von seinem Standpunkt abrücken und sodann dem Geschädigten entgegenkommen wird. Versicherer unterliegen einer strengen Controlling-Abteilung, wo exakt errechnet wird, was es kostet, wenn die Akte nicht geschlossen wird, sondern stattdessen jeden Monat von den Sachbearbeitern erneut bearbeitet werden muss. Es kann daher nochmals nur der Tipp gegeben werden, dass eine Abfindung/Kapitalisierung um jeden Preis auf gar keinen Fall angestrebt werden sollte, sondern immer nur dann, wenn die Zahlen stimmen und natürlich auch nur dann, wenn der Mandant die Kapitalisierung ausdrücklich wünscht, diese für ihn tatsächlich günstiger und besser ist und er über die Folgen der Kapitalisierung, die umfassende und abschließende Regulierung seiner Ansprüche auf Kapitalisierungsbasis zutreffend rechtlich aufgeklärt wurde.

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