Rz. 75

Nur wenn gelegentlicher Konsum erwiesen ist und Zusatztatsachen vorliegen, ist der Betreffende i.d.R. ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Die wesentlichen Zusatztatsachen sind in der Anlage 4 zur FeV aufgeführt. Diese Aufzählung ist aber nicht abschließend. Werden weitere in Zusammenhang mit Cannabis die Fahrsicherheit beeinträchtigende Umstände verwirklicht, so führt auch das zu Ungeeignetheit.[118]

 

Rz. 76

Das wurde etwa für einen seit seinem 16. Lebensjahr wiederholt konsumierenden jungen Menschen entschieden,[119] da aus einem wiederholten Konsum seit dem 16. Lebensjahr Entwicklungsstörungen resultieren können, welche die Fahrleistungsfähigkeit dauerhaft beeinflussen.

 

Rz. 77

Die in der Praxis am häufigsten verwirklichten, in der Anlage 4 zur FeV genannten Zusatztatsachen sind

fehlendes Trennvermögen und
zusätzliche Einnahme von Alkohol.
[118] NdsOVG v. 30.3.2004, BA 2004, 563; BayVGH v. 3.9.2002, BA 2004, 97.
[119] NdsOVG v. 15.11.2002, DAR 2003, 45 = BA 2003, 171.

a) Fehlendes Trennvermögen (wichtigster Fall)

 

Rz. 78

Unter fehlendem Trennvermögen versteht man eine Verkehrsteilnahme, obwohl der Betroffene eine die Fahrsicherheit beeinträchtigende THC-Konzentration im Körper hat. Maßstab ist, dass eine cannabisbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit möglich ist oder – negativ formuliert – auszuschließen ist. Das ist ab einem Wert von 1,0 ng/ml THC im Blut der Fall. Dabei ist kein "Sicherheitsabschlag" wegen Messungenauigkeiten vorzunehmen.[120] Das entspricht der bislang herrschenden Meinung in der Rechtsprechung,[121] die auf den Wert von 1,0 ng/ml THC zurückgreift, der für die Verwirklichung des OWi-Tatbestands des § 24a StVG maßgeblich ist.[122] Die zuvor vom BayVGH in ständiger Rechtsprechung vertretene Ansicht, dass fehlendes Trennvermögen erst ab 2,0 ng/ml THC[123] angenommen werden könne,[124] dürfte damit in der Rechtsanwendung kaum mehr relevant sein.

Fehlendes Trennvermögen ist auch dann anzunehmen, wenn der Betroffene angibt, zwischen Konsum und Verkehrsteilnahme 30 Stunden zugewartet zu haben, sich bei der Verkehrskontrolle aber ein Wert von 1,3 ng/ml THC ergeben hat.[125]

Aus der Verlautbarung der Grenzwertkommission vom September 2015, eine Trennung von Konsum und Fahren erst ab einer Konzentration von 3,0 ng/ml THC zu verneinen,[126] folgt nichts anderes. Denn die Kommission hat in ihrer Empfehlung ausdrücklich am Grenzwert von 1,0 ng/ml für THC festgehalten und stellt fest, dass ab 3,0 ng/ml THC entweder zeitnaher (in Bezug auf die erfolgte Messung) oder häufiger Konsum vorliegen muss. Daraus ergibt sich gerade nicht, dass unter 3,0 ng/ml THC von keiner Beeinträchtigung der Fahrsicherheit und keinem fehlenden Trennvermögen auszugehen wäre.[127]

[120] Vgl. BVerfG vom 21.12.2004, NJW 2005, 349; ausdrücklich: BVerwG vom 23.10.2014, 3 C 3.13, zfs 2015 173.
[121] Zuletzt: OVG Weimar vom 6.9.2012, NJW 2013, 712; NdsOVG v. 11.7.2003, DAR 2003, 480; VGH BW v. 15.11.2004, BA 2005, 187; OVG Hamburg v. 15.12.2005, NJW 2006, 1367; OVG Bbg v. 16.6.2009, NZV 2010, 531.
[123] Erst ab dieser Konzentration kommt es bei jedem zu einer allgemeinen Risikoerhöhung im Straßenverkehr (Gutachten Krüger v. 15.8.2001 für das BVerfG, BA 2002, 236; vgl. auch Nachweis bei BVerfG v. 20.6.2002, NJW 2002, 2378). Ab einem Wert von 1,0 ng/ml THC kann fehlendes Trennvermögen in jedem Fall angenommen werden, wenn bereits bei diesem Wert konkrete drogenbedingte Fahrleistungseinschränkungen – beweiskräftig – festgestellt werden (OVG NRW v. 9.7.2007, NJW 2007, 3085 – wichtig, ob Betroffener unter deutlicher Rauschmitteleinwirkung gestanden hat; OVG RP v. 13.1.2004, DAR 2004, 413; BayVGH v. 21.2.2005, 11 CS 04.3526).
[124] So BayVGH in st. Rspr. vgl. v. 11.11.2004, 11 CS 04.2348; ausführlich: v. 25.1.2006, DAR 2006, 407.
[125] OVG SH, Beschl. v. 22.12.2014, 2 O 19/14, NJW 2015, 2202.
[126] BA 2015, 323.
[127] Ausdrücklich: BayVGH, Beschl. v. 23.5.2016, 11 CS 16.690, zfs 2016, 534, 536, Rn 16 f.; OVG Bremen, Beschl. v. 25.2.2016, 1B 9/16, zfs 2016, 598 = NZV 2016, 495.

b) Zusätzliche Einnahme von Alkohol

 

Rz. 79

Die Einnahme von Alkohol muss aber in einem zeitlich engen Zusammenhang zum Cannabiskonsum stehen. Denn das Zusammentreffen der Rauschwirkungen von Droge und Alkohol bedingt die Ungeeignetheit bei gelegentlichem Cannabiskonsum.[128]

Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV begründet die Fahrungeeignetheit bei einem zeitlich zusammentreffenden gelegentlichen Konsum von Cannabis und Konsum von Alkohol. Denn die Wirkungen beider Rauschmittel verstärken sich, so dass das Risiko eines Schadenseintritts signifikant erhöht ist. Die Teilnahme am Straßenverkehr ist für Annahme der Ungeeignetheit nicht erforderlich. Hierzu bedarf es nicht einer mengenmäßigen Feststellung des Konsums. Es reicht aus, wenn sich ein Mischkonsum aus den Angaben des Betroffenen[129] ableiten lässt.[130]

[128] VGH BW v. 30.5.2003, DAR 2003, 481; auch bewusstes Nichtfahren begründet keine Ausnahme von der Regelfallbeurteilung bei gelegentlichem Konsum, fehlendem Trennvermögen und BAK 1,39 ‰...

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