Rz. 41

Der Interessenausgleich i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG bzw. nach § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO erleichtert auch das Verfahren zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige ggü. der Agentur für Arbeit nach § 17 KSchG. Gem. § 1 Abs. 5 S. 4 KSchG für vor Verfahrenseröffnung und gem. § 125 Abs. 2 InsO für in der Insolvenz mit Namensliste aufgestellte Interessenausgleiche entfällt i.R.d. Anzeigenerstattung die Pflicht zur Beifügung einer Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG. Weder ein Interessenausgleich nach § 1 Abs. 5 KSchG oder nach § 125 Abs. 1 InsO noch ein solcher nach § 112 Abs. 1 BetrVG entbinden den (vorläufigen/endgültigen) Insolvenzverwalter jedoch von der Betriebsratsanhörung zu den konkret auszusprechenden Kündigungen nach § 102 BetrVG (Uhlenbruck/Zobel, § 125 InsO Rn 107, m.w.N. zum Sach- und Streitstand). Auch die Anforderungen an die Informationspflicht werden nicht herabgesetzt (LAG Hamm v. 21.3.2002, LAGReport 2002, 214 = ZInsO 2002, 644). Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG kann allerdings in die Verhandlung über den Interessenausgleich aufgenommen und die Stellungnahme des Betriebsrats zu den Kündigungen kann im Interessenausgleich festgehalten werden (ArbG Wesel v. 28.5.1997, NZA-RR 1997, 341 = ZAP ERW 1998, 45 m. Anm. Berscheid; LAG Düsseldorf v. 9.10.1997, DB 1998, 926). Es kann in der schriftlichen Vereinbarung über den Interessenausgleich zum Ausdruck gebracht werden, dass der Insolvenzverwalter gleichzeitig das Anhörungsverfahren bzgl. der in der Namensliste angegebenen Personen einleitet und der Betriebsrat hinsichtlich aller Kündigungen eine abschließende Stellungnahme abgibt (LAG Hamm v. 16.1.2002, LAGReport 2002, 246 = ZInsO 2002, 644; LAG Hamm v. 1.4.2004, LAGReport 2005, 31). Die nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG erforderliche Stellungnahme des Betriebsrats zu der beabsichtigten Massenentlassung kann auch in einen Interessenausgleich ohne Namensliste integriert werden. Zwar kann ein Interessenausgleich ohne Namensliste im Unterschied zu einem Interessenausgleich mit Namensliste mangels gesetzlicher Anforderung die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG nicht ersetzen. Eine in den Interessenausgleich ohne Namensliste integrierte Stellungnahme genügt jedoch den gesetzlichen Anforderungen des § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG, wenn die Stellungnahme abschließend ist und erkennen lässt, dass sie sich auf die angezeigten Kündigungen bezieht (BAG v. 21.3.2012, ZInsO 2012, 1278).

 

Rz. 42

Eine Anhörungspflicht nach § 102 BetrVG besteht bei allen Kündigungen ggü. Arbeitnehmern, die zu der durch den Betriebsrat repräsentierten Belegschaft des "Betriebes" i.S.d. BetrVG gehören. Betriebsangehörige Arbeitnehmer sind nur solche Personen, die in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen und innerhalb der Betriebsorganisation des Arbeitgebers abhängige Arbeitsleistungen erbringen (BAG v. 21.3.1996 – 2 AZR 559/95, NJW 1997, 410 = NZA 1996, 974 = ZIP 1996, 1560). Während für den Versuch eines Interessenausgleiches i.S.v. §§ 111, 112 Abs. 1, 113 Abs. 3 BetrVG wegen der beabsichtigten Stilllegung sämtlicher Betriebe eines Unternehmens der Gesamtbetriebsrat gem. § 50 Abs. 1 BetrVG originär zuständig ist (BAG v. 17.2.1981 – 1 AZR 290/78, KTS 1981, 602 = NJW 1982, 69 = ZIP 1981, 642), ist vor Ausspruch der aus dieser Betriebsänderung resultierenden Einzelkündigungen stets der örtliche Betriebsrat des Betriebes gem. § 102 Abs. 1 BetrVG anzuhören, dem der betroffene Arbeitnehmer angehört (BAG v. 21.3.1996 – 2 AZR 559/95, NJW 1997, 410 = NZA 1996, 974). Bei personellen Einzelmaßnahmen wie einer Kündigung geht das Gesetz nämlich von dem einzelnen Betrieb, dem einzelnen Betriebsrat und dem einzelnen Arbeitgeber aus. Eine originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates bei personellen Einzelmaßnahmen ist deshalb grds. abzulehnen. Auch ist eine Beauftragung des Gesamtbetriebsrates in der Kündigungsangelegenheit durch den (örtlichen) Betriebsrat gem. § 50 Abs. 2 S. 1 BetrVG nicht möglich (LAG Hamm v. 23.1.2003, ZInsO 2004, 1099 m. Anm. Graner). Bei personellen Einzelmaßnahmen kann eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn ein Arbeitsverhältnis mehreren Betrieben des Unternehmens gleichzeitig zuzuordnen ist (BAG v. 21.3.1996 – 2 AZR 559/95, NJW 1997, 410 = NZA 1996, 974 m.w.N.). Ist das der Fall, so liegt die Zuständigkeit für das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG, wenn es in mehreren Betrieben Einzelbetriebsräte gibt, beim Gesamtbetriebsrat, ohne dass es auf den zeitlichen Anteil der Tätigkeit in dem jeweiligen Betrieb ankäme (ArbG Solingen v. 22.1.1990 – 3 Ca 20/88, n.v.; LAG Hamm v. 26.1.2006 – 4/2 Sa 921/05).

 

Rz. 43

Bezüglich der Pflicht, die Kündigungsgründe gem. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG mitzuteilen, gelten keine Erleichterungen. Ist dem Betriebsrat der Kündigungssachverhalt, z.B. die Stilllegung des Betriebes oder das Sanierungskonzept, aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich mit Namensliste bereits bekannt, brauc...

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