Rz. 88
Die dem Verkäufer auferlegte Pflicht, den Kaufvertrag auf eigene Kosten aber nach Wahl des Käufers nachzuerfüllen, wird gemildert durch das in § 439 Abs. 3 BGB vorgesehene Korrektiv der Unverhältnismäßigkeit, dass der Verkäufer einredeweise geltend machen muss.
Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Variante der Nacherfüllung unter Berufung auf die damit verbundenen, unverhältnismäßigen Kosten verweigern, unbeschadet der in § 275 Abs. 2, 3 BGB genannten, auf alle Leistungspflichten anwendbaren Verweigerungsgründe wegen Unzumutbarkeit. Das entspricht auch der Ansicht des Gesetzgebers, der die Verweigerungsgründe des § 439 Abs. 3 BGB als ""besondere Ausprägung des Rechtsgedankens"" von § 275 Abs. 2 BGB mit einer "niedrigeren Schwelle" für die Begründung der Unverhältnismäßigkeit verstand. Vorab ist ein Kostenvergleich der einzelnen Nacherfüllungsvarianten auch für den Käufer empfehlenswert, um die Nacherfüllung zügig durchführen zu können und die gewählte Variante nicht direkt der Einredeoption des Verkäufers auszusetzen. Das Wahlrecht des Käufers wird dadurch nicht übermäßig eingeschränkt, da bis zur Schwelle der Unverhältnismäßigkeit hinreichender Spielraum verbleibt. Der Verkäufer hat diesen Kostenvergleich zur Beurteilung der Frage der Unverhältnismäßigkeit ebenfalls anzustrengen, wie es einige Stimmen schon im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung der Verbrauchgüterkaufrichtlinie forderten.
Rz. 89
Dabei ist die in § 439 Abs. 3 BGB angesetzte Schwelle für das Vorliegen der Einrede des Verkäufers deutlich niedriger als in § 275 Abs. 2, 3 BGB, so dass Letztere für das Kaufrecht nahezu bedeutungslos ist.
Rz. 90
§ 439 Abs. 3 S. 2 BGB nennt einige (""insbesondere"") der Kriterien, nach denen abzuwägen ist, ob die Kosten unverhältnismäßig sind.
Die Grundlage bildet dabei der Wert der Sache im mangelfreien Zustand, womit der Verkehrswert gemeint ist. Denn bei einem Nachteil des Verkäufers, der aus der Differenz von Kaufpreis und Wert resultiert, handelt es sich um einen Verlust, welcher der vertraglich vereinbarten Äquivalenz entspringt und der bei der Zumutbarkeitsprüfung nicht einbezogen werden kann.
Rz. 91
Einbezogen wird nach § 439 Abs. 3 S. 2 BGB weiter die Bedeutung des Mangels, im Hinblick auf die Schwere der Beeinträchtigung der Sache zum Gebrauch für den Käufer, sowie die Nachteile, die dem Käufer ggf. dadurch entstehen, dass er nun Gelegenheit zur Durchführung der anderen Variante der Nacherfüllung gewähren muss. Aufgrund der Vielzahl der Variablen ist eine Einzelfallbeurteilung geboten, die eine Festlegung auf fixe Werte im Vorfeld ausschließt.
Rz. 92
Eine nähere Bestimmung der Schwelle zur Unverhältnismäßigkeit bietet sich lediglich im Hinblick auf die Festlegung einer Obergrenze an, so dass ein hinreichender Spielraum verbleibt, um allen Aspekten des Einzelfalls Rechnung tragen zu können. Vorrangig wird dabei nach Verschulden differenziert, hinsichtlich der Haftung des Verkäufers wegen eines Sachmangels. Favorisiert wird zumeist eine Obergrenze in Höhe von 100 % des Wertes der mangelfreien Sache angenommen. Dies wird zutreffend damit begründet, dass der Verkäufer auch nicht mehr wertmäßig versprochen hat als die Lieferung eines sach- und rechtsmangelfreien Neuwagens. Hat der Verkäufer hingegen den Mangel gem. § 276 BGB verschuldet, erweitert sich seine Haftung auf 130–150 % des Verkehrswertes. Einleuchtend erscheint auch hier, aufgrund der vergleichbaren Konstellation, die Grenze bei 130 %, angelehnt an die Grenzziehung in § 251 Abs. 2 BGB anzusetzen, betreffend der Frage der Höhe des Schadensersatzes in Geld, wenn die Herstellung mit nur unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich ist.
Rz. 93
Eine Verweigerung der Nacherfüllung ist jedoch entgegen der Gesetzesbegründung nicht schon allein dadurch gerechtfertigt, dass der Verkäufer oder Händler nicht über eine eigene Reparaturwerkstatt verfügte. Die individuelle Situation des Verkäufers, hinsichtlich der Anforderungen, welche die Nacherfüllung an ihn stellt, ist zu berücksichtigen, aber allein nicht gewichtig genug, um die Unverhältnismäßigkeit zu begründen. Vielmehr hat der Verkäufer im Rahmen seiner Möglichkeiten vorsorglich Maßnahmen zu treffen, um seiner Pflicht zur Nacherfüllung genügen zu können, etwa Absprachen mit dem nächstgelegenen Reparaturbetrieb.
Rz. 94
Beruft sich der Verkäufer berechtigterweise hinsichtlich beider Arten der Nacherfüllung auf § 439 Abs. 3 BGB, ist die Nacherfüllung insgesamt fehlgeschlagen und der Käufer kann gem. § 440 S. 1 BGB ohne Fristsetzung zurücktreten, mindern oder Schadensersatz geltend machen.
Rz. 95
Erhebt der Verkäufer die Einrede der Unverhältnismäßigkeit nur im Hinblick auf eine Art der Nacherfüllung, hat der Käufer eine Nacherfüllungsfrist für die andere Variante zu setzen, wenn er seine sekundären Rechte wahrnehmen will, es sei denn, die Fristsetzung ist nach Maßgabe der weiteren in §§ 440, 281 Abs. 2 BGB oder § 323 Abs. 2 BGB aufgeführten Ta...