Rz. 119

Neben einem Sachmangel setzt der Rücktritt nach § 323 Abs. 5 S. 2 BGB eine nicht nur unerhebliche Pflichtverletzung des Verkäufers mit anderen Worten die Erheblichkeit des Mangels voraus. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Abgrenzung in Anlehnung an die zu § 459 Abs. 1 S. 2 BGB entwickelten Grundsätze erfolgen.[199] Danach ist die Frage der Erheblichkeit objektiv an der Beschaffenheit, Verwendung und Eignung für den Gebrauch, sowie nach dem Wert der Kaufsache zu bemessen,[200] wobei auch die Bedeutung des Mangels nach der Verkehrsauffassung und die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.[201]

 

Rz. 120

Das OLG Hamm[202] stellt auf die Frage ab, ob ein Sachmangel eine unerhebliche Pflichtverletzung darstellt, die den Käufer gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB nicht zum Rücktritt berechtigt und sich danach richten soll, ob und in welchem Maß die Verwendung der Kaufsache gestört und/oder ihr Wert gemindert ist. Im dort ausgeurteilten Fall handelte es sich danach um keine unerhebliche Pflichtverletzung, wenn ein Bestattungsfahrzeug aufgrund zu geringer Bodenfreiheit aufsetzt und deshalb weder verkehrssicher noch zulassungsfähig ist, obwohl der Mangel durch Einbau eines automatischen Niveauausgleichs oder von Stoßdämpfern behoben werden kann.

 

Rz. 121

Ebenso sah es der BGH[203] als erhebliche Pflichtverletzung des Verkäufers an, wenn dieser ein Kraftfahrzeug in anderer als der bestellten Farbe liefert. Hierzu führt der BGH aus, dass die Farbabweichung in der Regel einen erheblichen Sachmangel und damit auch eine erhebliche Pflichtverletzung gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB darstellt, und zwar auch dann, wenn vom Käufer zunächst auch eine andere Fahrzeugfarbe in Betracht gezogen wurde. Die Lackfarbe bestimmt maßgeblich das Erscheinungsbild eines Kraftfahrzeugs und gehört deshalb für den Käufer zu den maßgeblichen Gesichtspunkten einer Kaufentscheidung.

 

Rz. 122

Weiterhin sieht der BGH bei einem Sägezahnabrieb unter Lenkproblemen, deren Ursache in einer fehlerhaften Achseinstellung liegt, die Erheblichkeit der Pflichtverletzung als gegeben an.[204] Ebenso ist die Erheblichkeit der Pflichtverletzung bejaht worden für quietschende Bremsen,[205] bei untypischen Motorengeräuschen,[206] für mangelhafte elektrische Sitzeinstellungen,[207] für abweichende Motorleistungen um 8 % bei einem 420 PS starken Neuwagen,[208] für einen Defekt des Standheizungstimers,[209] bei Start­problemen, die sich darin äußern, das unregelmäßige, jedoch lang andauernde Startprobleme vorliegen,[210] Kraftstoffmehrverbrauch von 11,7 % bei einem Abstellen auf Leergewicht der Basisvariante und realem Luftwiderstand, da dieser im vorliegenden Falle deutlich höher als angegeben ausgefallen ist[211] sowie Funktionsstörungen beim Navigationsgerät, da hieraus eine umständliche Routenplanung resultierte.[212]

 

Rz. 123

 

Praxistipp

Dass der Käufer eines Neufahrzeugs vor dem Abschluss des Kaufvertrags sowohl hinsichtlich der technischen als auch der optischen Ausstattung des Fahrzeugs alternative Überlegungen anstellt, dürfte in der Praxis nicht selten der Fall sein. Entscheidend kommt es darauf an, ob im Kaufvertrag eine eindeutige Wahl der Fahrzeugfarbe erfolgt ist.

 

Rz. 124

Als Anhaltspunkt für die Unerheblichkeit wertete das KG, dass der Mangel innerhalb kurzer Zeit von selbst verschwunden war oder den der Käufer ohne besonderen Aufwand beheben konnte.[213] Indiz für die Unerheblichkeit ist ferner, wenn der Mangel leicht zu erkennen und unter geringem Kostenaufwand beseitigt werden kann.[214]

Demgegenüber scheint sich die Ansicht durchzusetzen, die amtlich strengere Anforderungen an den Begriff der Erheblichkeit stellt.[215] So sollen Mängel, die mit einem Kostenaufwand von 3,5 % bzw. 4,5 % des Kaufpreises behoben werden können, nicht als erheblich anzusehen sein.[216] Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass bei einer Übernahme der Grundsätze zu § 459 BGB a.F. kaum noch Spielraum für die Minderung und den kleinen Schadensersatz (neben der Leistung) verbliebe.

 

Rz. 125

Ein Beispiel für die Unerheblichkeit eines Mangels nennt der BGH.[217] Es wird ausgeführt, dass bei einem behebbaren Mangel der Rücktritt vom Kaufvertrag jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn die Kosten der Beseitigung des Mangels im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind. Im gehobenen Preissegment soll dies dann der Fall sein, wenn die Mängelbeseitigungskosten 1 % des Kaufpreises nicht übersteigen. Auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung soll es nur dann ankommen und die Erheblichkeit einer Pflichtverletzung im Sinne von § 323 Abs. 5 S. 2 BGB bedeuten, wenn der Mangel nicht oder nur mit hohen Kosten behebbar oder die Mangelursache im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung ungewiss ist. Dies gilt auch dann, wenn zu diesem Zeitpunkt der Verkäufer dies nicht feststellen konnte.

 

Rz. 126

Eine Änderung der Anforderungen an den Begriff der Erheblichkeit ist jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen. Vor allem erscheint es verfassungsrechtlich bedenklich und mit dem Prinzip der Gewalt...

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