Rz. 5

Zum Sachverhalt in der – vorläufigen – Entscheidung des VGH ist festzuhalten, dass die auf § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG in der bis zum 30.4.2014 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis vor dem 30.4.2014 nach der im Zeitpunkt ihres Erlasses geltenden Rechtslage rechtmäßig war. Der Betroffene hatte bereits 2012 als Führer eines Pkw eine fahrlässige Körperverletzung begangen, die mit fünf Punkten eingetragen war, und hatte damit 18 oder mehr Punkte im Verkehrszentralregister erreicht. Die strafrechtliche Entscheidung vom 20.2.2013 wurde am 20.3.2014 rechtskräftig und am 7.4.2014 in das Verkehrszentralregister eingetragen. Sämtliche Schritte waren bis dahin nach altem Recht zu bemessen.

Die Behörde stellte sich auf den Standpunkt, dass es auf die neuen Rechtsvorschriften zum 1.5.2014 – weil der letzte Verkehrsverstoß schon vor der Rechtsänderung in das Verkehrszentralregister eingetragen und die Fahrerlaubnis zuvor bereits entzogen worden war – nicht mehr ankomme. Der entscheidende Zeitpunkt für die Entscheidung der Behörde ist aber nach materiellem Recht zu bestimmen. Dies ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Ist diese während eines – nicht mehr in allen Bundesländern vorgeschriebenen – Widerspruchsverfahrens ergangen, ist dies der Zeitpunkt des erlassenen Widerspruchsbescheides – im hier entschiedenen Fall nach Inkrafttreten der neuen Regelungen. Dies führt dann dazu, dass bei gleichem Sachverhalt tatsächlich unterschiedliche Entscheidungen abhängig vom vorgeschalteten Widerspruchsverfahren sind.

In dem hiesigen Verfahren führte dies dazu, dass nach Inkrafttreten der neuen Vorschriften der Punktestand für eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr erreicht war, weil ein Eintrag mangels weiterer Sanktionen in Anlage 13 zur FeV nicht aufgeführt ist, also die überführten Punkte aus dem Verkehrszentralregister im Fahreignungsregister zu löschen waren. Es heißt dann wörtlich in der Entscheidung:[3]

Zitat

"Fraglich ist aber, ob sich aus dem hier einschlägigen materiellen Recht, insbesondere aus dem so genannten Tattagprinzip, etwas anderes ergeben könnte. Hat der Inhaber einer Fahrerlaubnis einen Punktestand erreicht, der nach § 4 III 1 Nr. 3 StVG aF (jetzt § 4 V 1 Nr. 3 StVG nF) die mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zur Folge hat, ist eine danach eintretende Tilgung von Punkten im Verkehrszentralregister oder eine Punktereduzierung für die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung ohne Bedeutung (stRspr, vgl. grundlegend BVerwGE 132, 57 = NJW 2009, 610; Senat, NJW 2011, 2311 = VBlBW 2011, 194)."

Mit der Begehung einer Tat, die zum Erreichen von 18 und mehr Punkten im Verkehrszentralregister führt, obwohl die vorgelagerten Stufen des Maßnahmekatalogs des § 4 III StVG aF (jetzt § 4 V 1 StVG nF) durchlaufen worden sind, greift mithin die unwiderlegliche Vermutung der fehlenden Kraftfahreignung ein, die nach altem wie nach neuem Recht zwingend zur Entziehung der Fahrerlaubnis führt (vgl. BVerwGE 132, 57 = NJW 2009, 610; Senat, NJW 2014, 2600). Die Beschwerde weist zutreffend darauf hin, dass sich der Gesetzgeber bewusst für die Beibehaltung des in der Rechtsprechung entwickelten Tattagprinzips entschieden und dieses nunmehr ausdrücklich gesetzlich geregelt hat (vgl. § 4 II 3, V 6 StVG nF; BT-Drucks 17/12636, 4 1f.). Dies könnte dafür sprechen, dass der Ast. seit Begehung der Tat vom 27.7.2012 unwiderlegbar als ungeeignet gilt und spätere Entwicklungen auch im Widerspruchsverfahren nicht mehr zu berücksichtigen sind.

[...] Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind jedenfalls nicht ohne Weiteres zu Lasten des Ast. zu beantworten und bedürfen einer Klärung im Verfahren der Hauptsache (ebenso für die Prozesskostenhilfe OVG Bautzen, Beschl. v. 31.7.2014 – 3 B 152/14, BeckRS 2014, 74121; für die Anwendung des im Zeitpunkt der Entziehungsverfügung geltenden Rechts, aber wohl nur aufgrund des Wegfalls des Widerspruchsverfahrens, OVG Münster, Beschl. v. 28.7.2014 – 16 B 752/14).“

Das Verhältnis der Löschungsvorschrift nach dem Fahreignungsregister zum Tattagprinzip wird nicht deutlich herausgearbeitet und ist in den Übergangsregelungen in § 65 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 StVG. n.F. möglicherweise nicht bedacht worden. Wenn aber die Löschung (im Gegensatz zur Tilgung, die ja Rechtssicherheit schaffen soll) aufgrund der gesetzgeberischen Stoßrichtung, dass bestimmte nicht verkehrssicherheitsrelevante Verkehrsverstöße nicht punktbewehrt sein sollen, vorgenommen wird, kann argumentiert werden, die Löschung gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG n.F. abweichend vom Tattagprinzip zu berücksichtigen.[4] Dies auch vor dem Hintergrund, dass nach dem neuen Willen des Gesetzgebers auch bei der Ergreifung von Maßnahmen eine Ausnahme des Tattagprinzips ohnehin bereits besteht.

[3] VGH Baden-Württemberg v. 2.9.2014 – 10 S 1302/14, NJW 2015, 186.
[4] Burhoff ähnlich in seinem Blog: Wenn Verwaltungsgerichte zweifeln – hier an der Übergangsregelung der "Punktereform", http://blog.burhoff.de/2014/11/we...

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