I. Tinnitus

 

Rz. 36

Der Tinnitus ist ein Klassiker der Rechtsstreitigkeiten in der privaten Unfallversicherung. Tinnitus bezeichnet als Oberbegriff alle Arten von Ohr- oder Kopfgeräuschen, unabhängig von deren Ursachen. Der Betroffene nimmt ein Geräusch wahr, das außerhalb seines Kopfes nicht existiert, also nicht von außen an das Ohr herangetragen wird.

Für den Tinnitus besteht kein einheitliches Krankheitsbild. Auch die Beschwerden sind individuell sehr verschieden. Häufige Anzeichen sind ein- oder beidseitige Geräuschphänomene wie Sausen, Pfeifen, Brummen, Zischen, Rauschen oder Knacken. Er kann kombiniert mit einer Hörminderung auftreten, manchmal auch mit einem Drehschwindel.

Je nach Dauer der Beschwerden unterscheidet man den akuten Tinnitus (Dauer bis zu drei Monaten), den subakuten Tinnitus (vier bis zwölf Monate) und den chronischen Tinnitus (mehr als ein Jahr).

 

Rz. 37

Ein Tinnitus kann in jedem Alter entstehen. Man unterscheidet zwei Schweregrade:

Beim kompensierten Tinnitus registriert der Betroffene zwar Geräusche, kann aber mit ihnen gut umgehen. Der Leidensdruck ist gering oder nicht vorhanden.
Beim dekompensierten Tinnitus werden massive Auswirkungen auf das tägliche Leben beklagt. Diese verursachen einen großen Leidensdruck. Es können Angstzustände, Konzentrations- und Schlafstörungen oder Depressionen auftreten.
 

Hinweis

Diese Beschreibung des Tinnitus zeigt, dass es sich um einen körperinneren Prozess handelt. Er spielt sich nur im Kopf des Betroffenen ab. Die Belastung wirkt psychisch. Deshalb wird beim Tinnitus in der Praxis häufig der Ausschlusstatbestand der psychischen Reaktion (siehe § 4 Rn 237 ff) relevant.

 

Rz. 38

Die möglichen Ursachen für einen Tinnitus sind sehr vielfältig. Es können sowohl Erkrankungen, als auch Ohr- oder Hirnverletzungen für den Tinnitus verantwortlich sein. Mögliche Auslöser sind eine Schädigung des Innenohrs, des achten Hirnnervs und der Gehirnstrukturen, die alle akustischen Reize verarbeiten. Bei Erkrankungen des Ohres (z.B. Mittelohrentzündung Verletzungen des Trommelfells oder einer zunehmenden Unbeweglichkeit der Gehörknöchelchen im Mittelohr, sog. Otosklerose) kann ein Tinnitus begleitend auftreten. Stoffwechselerkrankungen (z.B. hoher Cholesterinspiegel), Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen der Kopf- und Wirbelsäulengefäße (Arteriosklerose), Erkrankungen der Halswirbelsäule, Tumore oder Gebissfehlstellungen können zum Tinnitus führen. Auch Vergiftungen und Nebenwirkungen von Medikamenten können unter Umständen einen Tinnitus auslösen. Dazu gehören unter anderem bestimmte Antibiotika, Antidepressiva und Schmerzmittel. Selbst Lärm und Stress werden als Auslöser vermutet. Bei Hörstürzen kommt es sehr häufig zu einem Tinnitus.

 

Rz. 39

Für die private Unfallversicherung ist entscheidend, ob die Gesundheitsstörung durch das Unfallereignis verursacht ist. Die Vielzahl der unterschiedlichen Auslöser zeigt, dass die Feststellung der Ursache eines Tinnitus eine genaue medizinische Prüfung erfordert. Die Problematik der Tinnitusfälle zeigt sich z.B. auch bei dem häufigen Streitthema, ob nach einem Kfz-Unfall der Tinnitus durch ein Schleudertrauma verursacht wurde, da hier die Mitwirkung einer degenerativ veränderten Halswirbelsäule zusätzlich Aufklärungsschwierigkeiten schafft.

II. Diabetes

 

Rz. 40

Als Diabetes bezeichnet man bestimmte Stoffwechselerkrankungen, die allesamt zu erhöhten Blutzuckerwerten (Hyperglykämie) führen. Diese hohen Blutzuckerwerte führen langfristig zu Folgeerkrankungen, vorwiegend an Augen, Nieren, Nervensystem, Herz, Gehirn und Gefäßen. Bei Diabetes ist die körpereigene Produktion von Insulin gestört. Für die Unfallversicherung sind hierbei zwei Aspekte wichtig.

 

Rz. 41

Das Hormon Insulin wird in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) gebildet. Körperzellen brauchen Insulin zur Aufnahme von Zucker aus der Blutbahn. Können Zellen keinen Zucker aufnehmen, steigt die Zuckerkonzentration im Blut. Dadurch wird die Blutversorgung im Körper verschlechtert, was zu Unterversorgungen insbesondere der peripheren Gliedmaßen führen kann. Eine daraus resultierende Gefühllosigkeit eines Fußes kann bereits eine Mitwirkung der Diabetes an der Gesundheitsschädigung hervorrufen, wenn wegen der Gefühllosigkeit z.B. ein eingetretener Nagel nicht bemerkt wird. Nicht selten wird auch der Heilungsprozess einer Unfallverletzung durch die Diabetes verschlechtert.

 

Rz. 42

Umgekehrt kann es aber auch durch eine Unterzuckerung (Hypoglykämie) zu einem Zuckerschock kommen. Dies ist eine Komplikation, die plötzlich während der Insulintherapie oder der Behandlung mit blutzuckersenkenden Tabletten auftreten kann. Besteht als Vorerkrankung der VP eine Diabetes, ist der Zuckerschock als eine mögliche Sturzursache in Betracht zu ziehen, mit der Folge, dass der Ausschlusstatbestand der Bewusstseinsstörung (siehe § 4 Rn 17 f.) eingreifen würde und der Versicherungsschutz entfiele.

 

Rz. 43

Diabetes ist eine weit verbreitete Erkrankung und daher von grundlegender Bedeutung für die Unfallversicherung. Es handelt sich u...

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