Rz. 63

Fällt eine solche BQG in die Insolvenz, kann deren Insolvenzverwalter ggf. gem. § 93 InsO im Wege der Durchgriffshaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs die Gesellschafter auf den Ausfall der Forderungen der Insolvenzgläubiger in Anspruch nehmen. Die Durchgriffshaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs setzt nach der Auffassung des OLG Düsseldorf nicht zwingend einen unkompensierten benachteiligenden Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen voraus, sondern findet auch Anwendung, wenn der Gesellschaft von vornherein die Fähigkeit vorenthalten wird, die vorhersehbaren Risiken ihres Geschäftsbetriebs zu bestehen und ihren Verbindlichkeiten nachzukommen (sog. "Aschenputtel-Gesellschaft"). In einer derartigen "Aschenputtel-Situation" befindet sich nach der Auffassung des OLG Düsseldorf auch eine in der Rechtsform der GmbH geführte BQG, deren Existenz von dem Überleben des zu sanierenden, die Arbeitnehmer abgebenden Unternehmens abhängt.[46]

 

Rz. 64

Ob diese Rechtsprechung aufrechterhalten bleiben kann, nachdem der BGH im Fall "Trihotel" entschieden hat,[47] dass die Existenzvernichtungshaftung nicht eine eigenständige, zur Außenhaftung gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft führende Haftungsfigur sei, sondern eine an § 826 BGB orientierte Innenhaftung, erscheint aber fraglich.

 

Rz. 65

Der II. Zivilsenat des BGH[48] hat vor dem Hintergrund der im Urt. v. 16.7.2007 ("Trihotel") neu strukturierten sog. Existenzvernichtungshaftung inzwischen eine Innen-Haftung der Gesellschafter einer BQG (Gemeinschuldnerin) gegenüber dieser Gesellschaft wegen existenzvernichtenden Eingriffs gem. § 826 BGB verneint. Denn das – ihnen nach den Feststellungen des Berufungsgericht anzulastende – Versäumnis, im Rahmen der dreiseitigen Verträge den Anspruch der Gemeinschuldnerin gegen die zu sanierende Gesellschaft auf Zahlung der sog. Remanenzkosten für die Aufstockung des Struk­turkurzarbeitergeldes zugunsten der übernommenen Arbeitnehmer für deren maximale Verweildauer bei der Gemeinschuldnerin entsprechend den branchenüblichen Gepflogenheiten gegen eine vorzeitige Insolvenz abzusichern oder absichern zu lassen, stelle schon begrifflich keinen "Eingriff" in das zweckgebundene, den Gläubigern als Haftungsfonds dienende Gesellschaftsvermögen dar.

 

Rz. 66

Das Unterlassen der gebotenen Absicherung stehe einem Eingriff in den zweckgebundenen Haftungsfonds im Sinne eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Respektierung der Zweckbindung dieses Vermögens zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger während der Lebensdauer der GmbH nicht gleich; durch dieses Unterlassen sei das Stammkapital der Schuldnerin von den Gesellschaftern nicht angetastet worden.

 

Rz. 67

Die beklagten Gesellschafter haften dem Insolvenzverwalter gegenüber in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter für die Befriedigung der im Insolvenzverfahren offen gebliebenen Drittgläubigerforderungen gegen die Gemeinschuldnerin auch nicht auf der Grundlage eines speziellen Haftungsinstituts der Haftung des GmbH-Gesellschafters wegen (materieller) Unterkapitalisierung der GmbH. Eine derartige Haftung wegen unzureichender Kapitalisierung der Gesellschaft, sei es in Form zu geringer Eigenkapitalausstattung, sei es in Gestalt einer allgemeinen Mangelhaftigkeit der Vermögensausstattung im weitesten Sinne, sei weder gesetzlich normiert noch durch höchstrichterliche Rechtsfortbildung als gesellschaftsrechtlich fundiertes Haftungsinstitut anerkannt. Vielmehr ist nach Auffassung des II. Zivilsenats eine sachgerechte Lösung des Problems der materiellen Unterkapitalisierung nach wie vor allenfalls in einer Heranziehung der deliktischen Generalnorm der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung nach § 826 BGB im Einzelfall zu sehen.

 

Rz. 68

Als Ansprüche gegen die Gesellschafter im Zusammenhang mit der Unterlassung der Absicherung der Remanenzkostenansprüche gegen Insolvenz der zu sanierenden Gesellschaft kommen nach Auffassung des BGH allerdings solche in Betracht, die den betroffenen Arbeitnehmern aus Delikt (§§ 826, 830 BGB) oder aus Verschulden bei Vertragsschluss (§ 311 Abs. 3 BGB) jeweils individuell zustehen, falls sie bei Eingehung der dreiseitigen Verträge durch Verschweigen arglistig getäuscht wurden. Zu deren klageweiser Geltendmachung seien auch während des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der BQG nur die betroffenen Arbeitnehmer selbst, nicht hingegen der Insolvenzverwalter berechtigt.

 

Rz. 69

Entsprechendes gilt nach Auffassung des BGH für die aus diesen Pflichtwidrigkeiten der Gesellschafter gegenüber den Arbeitnehmern resultierenden "sekundären" Ansprüche der Sozialversicherungsträger/Arbeitsverwaltung und des Finanzfiskus.

 

Rz. 70

Verpflichtet sich eine Personal-Service-Agentur durch einen Vertrag gegenüber der Bundesagentur für Arbeit zur Einstellung von zuvor arbeitslosen Arbeitnehmern in sozialversicherungspflichtige, nach einem Tarifvertrag zu vergütende Beschäftigungsverhältnisse, so hat die Bundesagentur für Arbeit in der Insolvenz der Personal-Service-Agentur di...

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