A. Allgemeines

 

Rz. 1

Es ist heutzutage fast die Regel, dass der Erblasser zu seinen Lebzeiten Zuwendungen und Vermögensübertragungen an seine Abkömmlinge oder seinen Ehegatten vorgenommen hat. Gerade auch unter steuerlichen Gesichtspunkten hat die lebzeitige Übertragung (vorweggenommene Erbfolge) in den letzten Jahren enorm zugenommen. Die Bestrebung, die Vermögensangelegenheiten bereits zu Lebzeiten zu regeln, steigt.[1] Empfänger lebzeitiger Zuwendungen können sein: die Abkömmlinge (§§ 2050 ff. BGB), der Ehegatte und Dritte (§ 2325 BGB). Das nachfolgende Kapitel beschäftigt sich mit den lebzeitigen Zuwendungen an Abkömmlinge, die entweder nach §§ 2050, 2316 BGB ausgleichungspflichtig, nach § 2315 BGB anrechnungspflichtig oder nach § 2316 Abs. 4 BGB anrechnungs- und ausgleichungspflichtig sind. Im Unterschied zur Pflichtteilsergänzung ist zu beachten, dass eine Ausgleichungspflicht nach § 2316 BGB nur unter Abkömmlingen besteht. Eine Anrechnung von Zuwendungen auf den Pflichtteil nach § 2315 BGB ist nicht auf Abkömmlinge beschränkt, kann aber nur bei pflichtteilsberechtigten Personen erfolgen.

[1] Olzen, Jura 1987, 16.

B. Die ausgleichungspflichtigen Vorempfänge an Abkömmlinge nach §§ 2050, 2316 BGB

I. Einleitung

 

Rz. 2

Zuwendungen des Erblassers an seine Abkömmlinge sind zur Ausgleichung zu bringen, wenn die Zuwendung kraft Gesetzes ausgleichungspflichtig ist (§ 2050 Abs. 1 und 2 BGB) oder der Erblasser bei der Zuwendung des Vorempfangs die Ausgleichungspflicht angeordnet hat (§ 2050 Abs. 3 BGB). Die Frage, wie sich solche Zuwendungen auf den Pflichtteil der Abkömmlinge auswirken, regelt § 2316 BGB. Nach § 2316 Abs. 1 BGB bestimmt sich der Pflichtteil eines Abkömmlings, wenn mehrere Abkömmlinge vorhanden sind und unter ihnen im Falle der gesetzlichen Erbfolge eine Zuwendung des Erblassers (Alt. 1) oder Leistungen nach § 2057a BGB (Alt. 2) zur Ausgleichung zu bringen sein würden, nämlich nach demjenigen, was auf den gesetzlichen Erbteil unter Berücksichtigung der Ausgleichungspflichten bei der Teilung entfallen würde.

 

Rz. 3

Das Gesetz sieht in § 2050 Abs. 1 BGB einen sog. "geborenen" Ausgleichungstatbestand für Ausstattungen, Übermaßzuschüsse zu den Einkünften und Übermaßaufwendungen zum Beruf vor. Sofern der Erblasser diese gesetzliche Ausgleichungspflicht nicht außer Kraft setzt, sind die Zuwendungen nach dem Erbfall zur Ausgleichung zu bringen und zwar unabhängig davon, wie lange sie zurückliegen. Eine Zehn-Jahres-Frist wie beim Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 Abs. 2 BGB) gibt es hier nicht.

 

Rz. 4

Darüber hinaus hat der Erblasser die Möglichkeit, eine nicht von ihrer Natur her ausgleichungspflichtige lebzeitige Zuwendung mit der Bestimmung zu versehen, dass diese ausgleichungspflichtig (§§ 2050, 2316 BGB) ist.[2] Man spricht hier von den sog. "gekorenen" Ausgleichstatbeständen, denn hier ist die Anordnung des Erblassers maßgeblich für die Ausgleichungspflicht.

 

Rz. 5

 

Praxishinweis

Die Ausgleichungspflicht nach §§ 2050 ff. BGB führt bei der gesetzlichen (oder testamentarischen) Erbfolge zu einem Verrechnungsanspruch im Rahmen der Erbauseinandersetzung, im Pflichtteilsrecht zu einer Erhöhung oder Reduzierung des Zahlungsanspruchs. Die Ausgleichung erhöht nicht die Pflichtteilslast, sondern führt zu einer Umverteilung bzw. Verschiebung der Pflichtteile.[3]

[2] MüKo-BGB/Ann, § 2050 Rn 31.
[3] Bamberger/Roth/J. Mayer, § 2316 Rn 2.

II. Die an der Ausgleichung Beteiligten

 

Rz. 6

Nach §§ 2050 ff. BGB sind grundsätzlich nur die Abkömmlinge des Erblassers an der Ausgleichung beteiligt. Andere Personen nehmen an der Ausgleichung nicht teil. Im Rahmen der Erbauseinandersetzung ist daher der Erbteil anderer Erben, z.B. der des Ehegatten, vor Durchführung der Ausgleichung herauszurechnen. Dies gilt auch im Rahmen der Pflichtteilsberechnung nach § 2316 BGB. Der Pflichtteilsanspruch der anderen, nicht ausgleichungsberechtigten oder -verpflichteten Pflichtteilsberechtigten wird grundsätzlich ohne Berücksichtigung der ausgleichungspflichtigen Vorempfänge berechnet.[4]

 

Rz. 7

Der Begriff "Abkömmling" ist gesetzlich nicht näher definiert. Gemeint sind alle Personen, die direkt vom Erblasser abstammen (Kinder, Enkel, Urenkel), also solche in absteigender gerader Linie.[5] Voraussetzung für eine Ausgleichung nach § 2316 BGB ist, dass neben dem pflichtteilsberechtigten Abkömmling wenigstens ein weiterer Abkömmling vorhanden ist: Nach § 2316 Abs. 1 S. 2 BGB werden diejenigen Abkömmlinge, die einen Erbverzicht erklärt haben, bei der Ausgleichung nicht berücksichtigt. Sie scheiden bei der Berechnung mitsamt ihrem Vorempfang aus. Gleiches gilt für diejenigen Abkömmlinge, die einen vorzeitigen Erbausgleich nach § 1934d BGB a.F. geltend gemacht haben.[6] Derjenige, der nur auf seinen Pflichtteilsanspruch verzichtet hat, wird hingegen nach der Rspr. des BGH im Rahmen der Ausgleichung mit seinem eventuellen Vorempfang berücksichtigt.[7] Gleiches gilt für Abkömmlinge, die die Erbschaft ausgeschlagen haben, für erbunwürdig erklärt wurden oder infolge ihrer Enterbung von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sind (§ 2310 S. 1 BGB),[8] und auch für solche Abkömmlinge, deren Vorempfang der ...

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