Rz. 112

Erfolgt eine lebzeitige Zuwendung an einen Ehegatten, so stellt sich die Problematik zwischen einer Anrechnung auf den Pflichtteil nach § 2315 BGB und einer Anrechnung auf den Zugewinnausgleichsanspruch nach § 1380 BGB, wenn der überlebende Ehegatte die Erbschaft ausschlägt und seinen konkreten Zugewinnausgleich und den "kleinen" Pflichtteil geltend macht (güterrechtliche Lösung).[147] Zu berücksichtigen ist, dass eine Anrechnung auf den Pflichtteil nach § 2315 BGB nur dann erfolgt, wenn der Erblasser dies zum Zeitpunkt der Zuwendung angeordnet hat. Nach § 1380 Abs. 1 S. 2 BGB spricht hingegen die Vermutung dafür, dass im Zweifel jede Zuwendung auf den Zugewinnausgleich angerechnet werden soll, wenn der Wert der Zuwendung den von Gelegenheitsgeschenken übersteigt.[148] Für den Fall, dass der Erblasser daher eine Anrechnungsbestimmung nach § 2315 BGB getroffen hat, steht man vor der Frage, in welcher Reihenfolge die Anrechnung vorzunehmen ist. Für die Reihenfolge der Anrechnung ist in erster Linie auf den Erblasserwillen abzustellen.[149]

 

Rz. 113

Hat der Erblasser zwar die Anrechnung für beide Fälle angeordnet, aber keine Reihenfolge bestimmt, so wird teilweise vertreten, dass entsprechend dem Rechtsgedanken des § 366 Abs. 2 BGB die Anrechnung zunächst auf diejenige Forderung anzurechnen ist, die für den Ehegatten die weniger sichere ist. Dies ist der Pflichtteil als das rangschlechtere Recht in der Insolvenz, § 327 Abs. 1 Nr. 1 InsO.[150] Eine andere Ansicht in der Literatur will, begründet auf der Systematik der Ausgleichungs- und Anrechnungsvorschriften, die Berechnung genau in umgekehrter Reihenfolge vornehmen.[151] Der Vorempfang soll daher zunächst auf den Zugewinn und erst ein verbleibender Restteil danach auf den Pflichtteilsanspruch angerechnet werden. Eine weitere Meinung, die in ihrer Begründung einem gerechten Ergebnis wohl am nächsten kommt, will im Zweifel auf den Pflichtteil anrechnen, dies jedoch einzelfallabhängig und in der Art und Weise, dass der Zuwendungsempfänger nach der Berechnung des Zugewinnausgleichsanspruchs nicht besser stehen soll, als er ohne die Zuwendung stehen würde bzw. als wenn der Gegenstand als auszugleichender Zugewinn im Vermögen des Zuwendenden verblieben wäre.[152]

 

Rz. 114

Nicht zulässig ist hingegen, die Anrechnung in voller Höhe sowohl auf den Zugewinn als auch auf den Pflichtteilsanspruch vorzunehmen.[153]

 

Rz. 115

 

Praxishinweis

In der Literatur wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bestimmung der Reihenfolge auch erhebliche Auswirkungen auf die Erbschaftsteuer hat.[154] Nach § 5 Abs. 2 ErbStG ist der Zugewinnausgleichsanspruch des Ehegatten grundsätzlich erbschaftsteuerfrei, der Pflichtteilsanspruch nach § 3 Abs. 1 S. 1 ErbStG jedoch nicht. Hieraus ist zu folgern, dass aus steuerlicher Sicht eine Anrechnung auf den Zugewinn und nur hinsichtlich eines überschießenden Teils auf den Pflichtteil steuerlich ungünstig wäre. Es bietet sich daher an, im Rahmen der Gestaltung von Zuwendungen an Ehepartner eine entsprechende Reihenfolge zu bestimmen.

[147] Palandt/Weidlich, § 2315 Rn 13.
[148] Nach Palandt/Brudermüller, § 1380 Rn 8 handelt es sich bei § 1380 Abs. 1 S. 2 BGB lediglich um eine Beweislastregel, während z.B. Staudinger/Thiele, § 1380 Rn 17 von einer echten Auslegungsregel ausgeht.
[149] MüKo-BGB/Lange, § 2315 Rn 30.
[150] MüKo-BGB/Lange, § 2315 Rn 30.
[151] Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 8 Rn 59.
[152] Vgl. hierzu ausführlich Bonefeld, ZErb 2002, 189, 190, auch zu den einzelnen Berechnungen.
[153] MüKo-BGB/Lange, § 2315 Rn 30.
[154] Bonefeld, ZErb 2002, 189, 190.

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