1. Anwendbarkeit

 

Rz. 70

Die Anwendbarkeit der Ausgleichungsvorschrift des § 2316 BGB ist dann gegeben, wenn mehrere Abkömmlinge vorhanden sind, die im hypothetischen Fall des Eintritts der gesetzlichen Erbfolge die jeweiligen Vorempfänge hätten zur Ausgleichung bringen müssen. Maßgebend ist daher nicht, welche letztwillige Verfügung der Erblasser hinterlassen hat, ob er einen Abkömmling enterbt hat oder ein anderer Alleinerbe geworden ist. Für die Berechnung des Pflichtteils nach den Ausgleichungsvorschriften kommt es vielmehr nur auf den hypothetischen gesetzlichen Erbteil an.

 

Rz. 71

Kurz gesagt: Es ist zunächst der gesetzliche Ausgleichungserbteil des Pflichtteilsberechtigten nach den Vorschriften der §§ 2050 ff. BGB zu ermitteln und auf dieser Basis der Ausgleichungspflichtteil zu berechnen. Für die Frage, ob ein Vorempfang ausgleichungspflichtig i.S.v. § 2316 BGB ist, wird vollumfänglich auf die §§ 2050 ff. BGB verwiesen. Zu beachten ist allerdings, dass der Erblasser gem. § 2316 Abs. 3 BGB eine Ausstattung nach § 2050 Abs. 1 BGB nicht zu Lasten eines Pflichtteilsberechtigten von der Ausgleichung ausschließen kann. Ordnet der Erblasser daher an, dass die einem Abkömmling gemachte Ausstattung nicht ausgleichungspflichtig sein soll, bleibt diese Anordnung bei der Berechnung eines eventuellen Pflichtteilsanspruchs nach § 2316 BGB unberücksichtigt.

2. Die an der Ausgleichung Beteiligten

 

Rz. 72

Gemäß §§ 2050, 2316 BGB sind nur die Abkömmlinge eines Erblassers am Ausgleichungsvorgang beteiligt. Der Pflichtteil des Ehegatten berechnet sich ohne Berücksichtigung der Vorempfänge. Nicht mit berücksichtigt werden nach § 2316 Abs. 1 S. 2 BGB diejenigen Abkömmlinge, die einen Erbverzicht abgegeben oder einen vorzeitigen Erbausgleich nach § 1934d BGB a.F. geltend gemacht haben, was sich aus § 2310 S. 2 BGB ergibt. Dies gilt nach Ansicht des BGH aber nicht für denjenigen, der nur auf sein Pflichtteilsrecht verzichtet hat.[91] Daraus folgt, dass derjenige Abkömmling, der durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen wurde oder der die Erbschaft ausgeschlagen hat oder für erbunwürdig erklärt wurde, mit seinem Vorempfang voll berücksichtigt wird.

 

Rz. 73

 

Praxishinweis

Für die Berechnung des Pflichtteils gilt in Bezug auf die Ausgleichung die Besonderheit, dass gem. § 2316 Abs. 3 BGB der Erblasser durch abweichende Anordnung die Berücksichtigung einer Ausstattung nicht gegenüber einem Pflichtteilsberechtigten ausschließen kann.[92] Die Ausstattung ist bei der Berechnung des Ausgleichungspflichtteils immer zu berücksichtigen. Eine gegenteilige Anordnung des Erblassers bleibt wirkungslos.

[92] Palandt/Weidlich, § 2050 Rn 3.

3. Die Zuwendung muss vom Erblasser stammen ("erweiterter Erblasserbegriff")

a) Der Begriff des Erblassers

 

Rz. 74

Der Abkömmling muss den Vorempfang grundsätzlich vom Erblasser erhalten haben. Fällt der Abkömmling vor oder nach dem Erbfall weg, so ist nach § 2051 BGB allerdings der an seine Stelle tretende Abkömmling ausgleichungsverpflichtet. Erfolgt eine Zuwendung aus dem Gesamtgut einer Gütergemeinschaft, dann gilt die Zuwendung von jedem Ehegatten als hälftig erbracht (§ 2054 Abs. 1 S. 1 BGB), wobei jeder Ehegatte dabei selbst bestimmen kann, ob er eine Ausgleichungsanordnung trifft.[93] Allerdings erfolgt die Zuwendung nur von einem Ehegatten, wenn der Abkömmling nur von diesem abstammt.[94] Gleiches gilt, wenn der zuwendende Ehegatte aufgrund der Zuwendung ersatzpflichtig wird, § 2054 Abs. 1 S. 2 BGB.

[93] Soergel/Wolf, § 2054 Rn 3.
[94] Soergel/Wolf, § 2054 Rn 4.

b) Der "erweiterte Erblasserbegriff"

 

Rz. 75

Als Erblasser ist grundsätzlich die Person anzusehen, deren Vermögen mit dem Tod auf den bzw. die Erben übergeht.[95] Fraglich ist allerdings, ob bei Ehegatten, die sich in einem gemeinschaftlichen Testament[96] jeweils als Alleinerben nach dem Tod des Erstversterbenden ("Vollerbe") und ihre Kinder als Erben des Überlebenden ("Schlusserben") eingesetzt haben,[97] tatsächlich nur der zuletzt Versterbende als Erblasser anzusehen ist.[98] In diesem Fall würden Zuwendungen des erstversterbenden Elternteils unberücksichtigt bleiben.

 

Rz. 76

Nach h.M. kann daher Erblasser i.S.d. §§ 2050 ff. BGB auch der erstverstorbene Elternteil sein, wenn die Erbfolge durch ein gemeinschaftliches sog. Berliner Testament oder einen inhaltlich entsprechenden Erbvertrag gestaltet wurde.[99] Begründet wird dies damit, dass bei der Einheitslösung die Vermögen beider Elternteile verschmelzen und letztlich eine einheitliche Vermögensmasse auf die zu Schlusserben bestimmten Abkömmlinge übergeht. Diese Einheitlichkeit des Vermögens der Eltern soll die Erweiterung des Erblasserbegriffs rechtfertigen,[100] nach der Vorempfänge des erstversterbenden Elternteils im Schlusserbfall berücksichtigt werden. Anderenfalls bliebe es im Ergebnis dem Zufall überlassen, ob ein Abkömmling einen Vorempfang ausgleichen muss, den er nur von einem Elternteil erhalten hat. Die Ausgleichung wäre davon abhängig, ob der zuwendende Elternteil der erst oder der zuletzt Versterbende ist.

[95] MüKo-BGB/Leipold, § 1922 Rn 5.
[96] Ggf. auch Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft nach dem LPartG.
[97] Sogenanntes B...

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