Rz. 54
Die in § 3 Abs. 4 S. 1 StVG angeordnete Bindungswirkung gilt nicht nur für die Maßnahme der Entziehung selbst, sondern nach ihrem Sinn und Zweck für das gesamte Entziehungsverfahren. Dies umfasst auch die vorbereitenden Maßnahmen. Das hat zur Folge, dass die Behörde schon die Beibringung des Gutachtens nicht anordnen darf. Dies gilt auch bei der Punktebewertung für die sich hieran knüpfenden Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 4 Abs. 3 S. 2 StVG. Einzelheiten oder das Vorliegen der Tat werden nicht mehr geprüft.
Dies ergibt sich auch aus der aktuellen Entscheidung des BVerwG vom 28.6.2012 – 3 C 38/11 – in der es wörtlich heißt:
Zitat
Nach § 3 Abs. 3 StVG darf, solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 des Strafgesetzbuches in Betracht kommt, die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen. Diese Regelung wird für die Zeit nach dem Abschluss des Strafverfahrens durch § 3 Abs. 4 StVG ergänzt. Nach dessen Satz 1 kann die Fahrerlaubnisbehörde, wenn sie in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen will, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Das Berücksichtigungsverbot des § 3 Abs. 3 StVG in das Verbot einer abweichenden Entscheidung nach § 3 Abs. 4 StVG übergeht, wenn zwischenzeitlich ein rechtskräftiges Strafurteil ergangen oder es sonst gemäß § 3 Abs. 4 Satz 2 StVG zu einem Abschluss des Strafverfahrens gekommen ist. Soweit nach den dort getroffenen Feststellungen widersprüchliche Entscheidungen von Fahrerlaubnisbehörde und Strafgericht ausgeschlossen sind, wird der Sachverhalt für die Fahrerlaubnisbehörde und das Verwaltungsgericht auch im Nachhinein berücksichtigungsfähig.
§ 3 Abs. 3 und 4 StVG dienen demzufolge dazu, sich widersprechende Entscheidungen der Strafgerichte und der Fahrerlaubnisbehörden zu vermeiden. Dadurch wird dem Widerspruch begegnet, dass derselbe Lebenssachverhalt unterschiedlich gehandhabt wird. Daher soll die Beurteilung durch den Strafrichter betont werden, da dessen Prognoseentscheidung hinsichtlich der Eignung aufgrund der letzten Hauptverhandlung erfolgte und den aktuellsten Einblick beinhaltet.
Die Bindungswirkung der Abs. 3 und 4 erstreckt sich also auf den Sachverhalt, und damit auf den gesamten Vorgang, auf den sich die Untersuchung erstreckt. Weiter stellt das BVerwG klar:
Zitat
Auch wenn § 3 Abs. 3 und 4 StVG demselben Regelungsziel dienen, so unterscheiden sie sich doch in ihrer Reichweite in Abhängigkeit davon, welchen Stand das anhängige Strafverfahren mittlerweile erreicht hat. § 3 Abs. 3 StVG betrifft die Zeit bis zu dessen Abschluss. Er enthält im Hinblick darauf, dass bis dahin weder dessen Ausgang noch die Feststellungen zu den für die Beurteilung der Fahreignung des Betroffenen maßgeblichen Umständen abschließend feststehen, ein umfassendes sich auf den gesamten relevanten Sachverhalt beziehendes Berücksichtigungsverbot. § 3 Abs. 4 StVG schließt daran zeitlich an und modifiziert dieses Verbot. Da mit dem Abschluss des Strafverfahrens nun auch Klarheit hinsichtlich der Feststellungen zu den genannten Umständen eingetreten ist, reduziert es sich nunmehr auf das Verbot einer Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde, die im Widerspruch zu den im Strafverfahren getroffenen Feststellungen steht.