Rz. 44

Gemäß Art. 83 Abs. 1 EuErbVO findet die Erbrechtsverordnung auf die Rechtsnachfolge von Personen Anwendung, die am 17.8.2015 oder danach verstorben sind. Daraus ergibt sich, dass auch nach dem Anwendungsstichtag für Erbfälle, die vor dem 17.8.2015 eingetreten sind, kein ENZ ausgestellt werden kann. Das überrascht zunächst. Es ist aber Konsequenz daraus, dass für diese Erbfälle sich das Erbstatut noch nach dem nationalstaatlichen IPR bestimmt, so dass hier die in der einheitlichen Rechtsanwendung liegende "Geschäftsgrundlage" für die gegenseitige Anerkennung des ENZ fehlt.

 

Rz. 45

Es bleibt in diesen Fällen nur die Ausstellung eines Erbnachweises nach nationalem Recht. Hierfür könnte man an die gegenseitige Anerkennung nach den Regelungen über die gegenseitige Annahme öffentlicher Urkunden in Art. 59 EuErbVO denken, wonach die in einem Mitgliedstaat ausgestellten Urkunden bei Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat die gleiche formelle Beweiskraft entfalten wie im Ursprungsmitgliedstaat. Fraglich ist die Anwendbarkeit aber schon deswegen, weil auch für diese Regeln mangels Eintritts des Erbfalls nach dem Anwendungsstichtag die Anwendbarkeit der EuErbVO gem. Art. 83 Abs. 1 EuErbVO nicht eröffnet ist. Zudem dürfte unabhängig davon, ob Art. 59 EuErbVO (bzw. Art. 39 EuErbVO) auf nationale Erbnachweise überhaupt Anwendung finden kann,[32] die "formelle Beweiskraft" bei einem Erbschein lediglich die Vermutung erfassen, dass das deutsche Nachlassgericht die Erbfolge entsprechend festgestellt hat (vgl. § 417 ZPO), nicht allerdings die besonderen "materiellen" Legitimations- und Gutglaubenswirkungen der §§ 2365 ff. BGB.[33] Letztere könnten den deutschen Erbscheinen bei Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat daher nur dann zukommen, wenn das nationale IPR bzw. IZPR des Verwendungsstaates für die Vermutungs- und Legitimationswirkungen sowie den Gutglaubensschutz auf die deutsche lex fori verweist.[34]

 

Rz. 46

Unbenommen bleibt dem Verwendungsstaat also die (freiwillige) Anerkennung als Nachweis. In der Vergangenheit erfuhren diese Anerkennung deutsche Erbscheine z.B. in der italienischen und luxemburgischen Bankenpraxis[35] oder bei den spanischen Grundstücksregistern. Insoweit wäre es seltsam, wenn die Einführung des ENZ dazu führen würde, dass in diesen Ländern deutsche Erbscheine nun nicht mehr akzeptiert werden würden. Auch in der österreichischen Grundbuchpraxis werden mittlerweile Erbscheine deutscher Nachlassgerichte akzeptiert.

[32] Gegen eine Geltung von Kapitel IV (Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen, Art. 3958 EuErbVO) und Kapitel V (Öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche, Art. 5961 EuErbVO); für nationale Erbnachweise Dörner, ZEV 2012, 512; Hertel, DNotZ 2012, 689; Buschbaum, in: Hager, Die neue europäische Erbrechtsverordnung, S. 57 f.
[33] Hertel, DNotZ 2012, 689 Anm. 9. Im Ergebnis ebenso Dörner, ZEV 2012, 512 – wenn auch mit abweichender Begründung.
[34] Vgl. für die Schweiz z.B. Art. 96 Abs. 1 des Schweizerischen Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht vom 18.12.1987, dazu Schnyder/Liatowitsch, in: Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, Internationales Privatrecht (Basler Kommentar), 3. Aufl. 2013, Art. 96 Rn 4.
[35] Gottwald/Stangl, Ausländische Wertpapierdepots im Nachlass, ZEV 1997, 221.

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