Rz. 147

Am 22.3.2017 hat die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf vorgelegt zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung wird ein Schockschaden erst dann bejaht, wenn nach höchstrichterlicher Rechtsprechung psychische Beeinträchtigungen wie Trauer und Schmerz medizinisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene im Todesfall erfahrungsgemäß ausgesetzt sind (grundlegend: BGH v. 11.5.1974 – VI ZR 78/70, BGHZ 56, 163, 165 ff.). Der aktuelle Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht im Fall der fremdverursachten Tötung für Hinterbliebene nun einen eigenen Anspruch auf Hinterbliebenengeld vor (BT-Drucks 18/11615 v. 22.3.2017). Im Fall der fremdverursachten Tötung sieht der Gesetzesentwurf für Hinterbliebene, die zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen, einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld für das zugefügte seelische Leid gegen den für die Tötung Verantwortlichen vor, der sowohl bei der Verschuldens- als auch bei der Gefährdungshaftung gewährt wird.

 

Rz. 148

Der als neuer Absatz 3 in § 844 BGB voraussichtlich einzufügende Absatz lautet:

Zitat

"Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war." (BT-Drucks 18/11397).

Ggf. kann dieser Kreis maßvoll erweitert werden, insbesondere um Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften und Geschwister, wobei hier eine Begrenzung auf minderjährige Geschwister oder solche, die in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Getöteten gelebt hatten, vorgesehen ist.

 

Rz. 149

Das Ziel der neuen Regelung ist, auch Hinterbliebenen unterhalb der Schockschadensschwelle einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld zuzusprechen. Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob ein Hinterbliebener psychische Beeinträchtigungen durch den Todesfall erlitten hat, die medizinisch fassbar sind und über gesundheitliche Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene im Todesfall gewöhnlich ausgesetzt sind. Ausreichend ist das besondere Näheverhältnis, in dem die Hinterbliebenen zu dem Getöteten standen.

 

Rz. 150

Zu diskutieren wird in der Folge wohl dann sein, ob und inwieweit einem Hinterbliebenen außerhalb des Anspruchs auf das gesetzliche Hinterbliebenengeld noch ein weiterer Schmerzensgeldanspruch zusteht, wenn ein Schockschaden im Sinne der bisherigen Rechtsprechung nachgewiesen ist. Denkbar sind hier insbesondere Schockschäden, in deren Folge ein naher Angehöriger erhebliche seelische Verletzungen davon getragen hat, die es ihm nicht mehr gestatten, z.B. seiner Erwerbstätigkeit im bisherigen Umfang nachzugehen. Zu denken ist hier an die Fälle, in denen Kinder im Beisein ihrer Eltern z.B. bei einem Verkehrsunfall getötet werden. Daneben sind selbstverständlich weitere Sachverhaltskonstellationen denkbar. Soll in einem solchen Fall tatsächlich der Anspruch auf ein eigenes Schmerzensgeld der jeweiligen Elternteile im Anspruch auf Hinterbliebenengeld "aufgehen"? Nach unserer Auffassung kann dies nicht von den Motiven des Gesetzentwurfes gedeckt sein. Die Motivation des Gesetzgebers liegt vielmehr darin, den Hinterbliebenen, deren Schmerz über den Tod eines nahen Angehörigen sich unterhalb der bisherigen "Schockschadensschwelle" bewegt, gleichwohl einen Entschädigungsanspruch zuzusprechen. Das darf nach unserer Auffassung jedoch nicht dazu führen, dass weitergehende Schmerzensgeldansprüche der Hinterbliebenen anlässlich des Todes eines nahen Angehörigen, die in das Raster der bisherigen Schockschadensrechtsprechung fallen, damit zugleich abgegolten sind.

 

Rz. 151

Interessant im Zusammenhang mit der Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld ist die Kostenschätzung, die die Bundesregierung in diesem Zusammenhang aufgestellt hat. Man geht davon aus, dass Versicherer mit weiteren Kosten in Höhe von rund 240 Millionen EUR jährlich belastet werden. Dieser Kalkulation liegt eine geschätzte Gesamtanzahl von 6.000 Schadensfällen zugrunde (aus den Bereichen des Straßenverkehrs, der medizinischen Behandlung, vorsätzlichen Tötungsdelikten und weiteren haftungsauslösenden Todesfällen, inkl. Gefährdungshaftung außerhalb des Straßenverkehrs sowie Arbeitsunfälle). Bei der so geschätzten Gesamtzahl von 6.000 Schadensfällen und durchschnittlich vier Hinterbliebenen entstehen 24.000 Haftungsfälle. Kalkulatorisch geht die Bundesregierung davon aus, dass die zugesprochene Entschädigungssumme pro Hinterbliebenem mit 10.000 EUR anzusetzen ist. Nach unserer Ansicht spricht diese "rechnerische Kalkulation" abermals dafür, dass mit dem Hinterbliebenengeld nur solche Ersatzansprüche befriedigt werden sollen, in de...

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