Rz. 187

Das BVerwG hat dann mit Beschl. v. 5.10.2004[200] aber entschieden, dass für die Befassung des nächsthöheren Gerichts mit außerordentlichen Rechtsbehelfen seit Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes vom 27.7.2001[201] kein Raum mehr sei. Ihm könne die gesetzgeberische Entscheidung entnommen werden, dass eine im Rechtsmittelzug nicht mögliche Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung aufgrund eines außerordentlichen Rechtsbehelfs demjenigen Gericht vorbehalten bleiben solle, das die Entscheidung erlassen hat. Hierauf, so das BVerwG weiter, ließe vor allem das (damals) neu geschaffene Verfahren zur Rüge von Gehörsverletzungen durch unanfechtbare Urteile der ersten Instanz gem. § 321a ZPO schließen, das die Selbstkontrolle des erstinstanzlichen Gerichts vorsieht. Dieses Verfahren finde gem. § 173 S. 1 VwGO auch für Gehörsrügen gegen verwaltungsgerichtliche Urteile Anwendung.[202]

 

Rz. 188

Spätestens seit der Einführung der Anhörungsrüge durch § 152a VwGO, die auf die Rechtsprechung des BVerfG[203] zurückgeht, soll dies gelten. § 152a VwGO ermöglicht einen eigenständigen außerordentlichen Rechtsbehelf, mit dem allerdings nur ein Anhörungsverstoß gerügt werden kann. Dieser Rechtsbehelf ist subsidiär und kommt erst dann in Frage, wenn der Anhörungsverstoß nicht im Rahmen anderer zur Überprüfung der Entscheidung gegebener Rechtsbehelfe oder Rechtsmittel angegangen werden kann.[204]

 

Rz. 189

Bei anderen Verfahrensverstößen gilt:

Ein Verstoß gegen Art 101 Abs. 1 S. 2 GG (Gebot des gesetzlichen Richters) kann im Wiederaufnahmeverfahren nach § 153 VwGO geltend gemacht werden.[205]
Bei anderen Verfahrensverstößen als dem der Verletzung rechtlichen Gehörs wird eine analoge Anwendung des § 152a VwGO überwiegend abgelehnt.[206]
 

Rz. 190

Darüber hinaus gehende Fälle der "greifbaren Gesetzeswidrigkeit" sollen also nicht mehr mit der oben beschriebenen "außerordentlichen Beschwerde" angegriffen werden können. In Betracht kommt dann nur noch die Verfassungsbeschwerde.[207]

 

Rz. 191

Kritik: Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der vom Gesetzgeber eingeleiteten Tendenz, immer mehr gerichtliche Entscheidungen für unanfechtbar zu erklären, ist die wohl h.M. zur außerordentlichen Beschwerde vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG zu überdenken; die zukünftige Entwicklung bleibt abzuwarten.

Immerhin ist in der Regierungsbegründung zum Anhörungsrüge-Gesetz[208] ausgeführt, dass dieses Gesetz "keine Aussage zu der Frage" trifft, "wie Gerichte künftig mit Verletzungen etwa des Willkürverbots umgehen sollen; insbesondere die bisher in diesen Fällen zur Anwendung gekommenen außerordentlichen Rechtsbehelfe wie die außerordentliche Beschwerde oder die Gegenvorstellung sollen durch die Beschränkung dieses Entwurfs auf eine Erweiterung der Rügemöglichkeiten bei Anhörungsverstößen nicht ausgeschlossen werden." Ausgangspunkt dieses Gesetzes war es nämlich, die Entscheidung des BVerfG v. 30.4.2003[209] umzusetzen. Dem entsprechend formuliert die Begründung a.a.O.: "Dem Tenor der bundesverfassungsrechtlichen Plenarentscheidung folgend ergänzt der Gesetzentwurf das Rechtsbehelfssystem um die Möglichkeit, einen Verstoß gegen das in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf rechtliches Gehör zu rügen. Eine Erstreckung dieses Rechtsbehelfs auf die Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte ist nicht Gegenstand des vom BVerfG erteilten Gesetzgebungsauftrages".[210]

[200] BVerwG, Beschl. v. 5.10.2004 – 2 B 90/04, NVwZ 2005, 232 = DVBl 2005, 254.
[201] BGBl I, 1887.
[202] BVerwG NVwZ 2005, 232 = DVBl 2005, 254; insgesamt dazu auch BVerwG NJW 2002, 2657.
[203] NJW 2003, 1924; vgl. auch BVerwG NVwZ-RR 2007, 113.
[204] Fehling/Kastner, Verwaltungsrecht, § 152a VwGO Rn 1 f., 6 f.
[205] Fehling/Kastner, Verwaltungsrecht, § 152a VwGO Rn 8; Regierungsbegründung zum Anhörungsrüge-Gesetz, BR-Drucks 663/04 v. 3.9.2004, Begründung unter A II 4, S. 33.
[206] Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 152a Rn 1 ff., 22.
[207] Fehling/Kastner, Verwaltungsrecht, § 152a VwGO Rn 6 mit Hinweis auf VGH BW NJW 2005, 920; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 152a Rn 22 am Ende; dies., NVwZ 2005, 11, 13.
[208] BR-Drucks 663/04 v. 3.9.2004, Begründung unter A II 4, S. 33.
[210] Vgl. insgesamt auch Fehling/Kastner, Verwaltungsrecht, § 152a VwGO Rn 8.

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